In heutigen Arbeitskontexten, in denen Disruption das „new normal“ darstellt, wird die Nutzung intuitiver Fähigkeiten zu einer Notwendigkeit. Neues Arbeiten braucht neue Mindsets und das volle Potenzial unserer kognitiven Toolbox – inklusive der Intelligenz unserer Intuition. Für Dr. Francesca Mega ist dieses Thema eine Herzensangelegenheit, seit Jahren richtet sie ihre Forschung darauf aus. In ihrer Serie erklärt die Neurowissenschaftlerin und Begründerin von EMBODIED INTUITION, was Intuition ist, warum sie sowohl im Beruf als auch im Alltag von großer Bedeutung ist und wie sie trainiert werden kann.
Die digitale Transformation stellt alte Paradigmen des Denkens und Arbeitens in Frage und verschiebt das generelle Anforderungsspektrum an den Menschen – weg von technischem Können und reinem Wissen hin zum Schöpferischen.
Kreativität, Problemlösungskompetenz, Kommunikationsstärke, Leadership und Empathie – Fähigkeiten, die heute als Soft Skills klassifiziert und eher stiefmütterlich behandelt werden – sind die Power Skills der Zukunft. Zu diesen zählen ebenfalls Fähigkeiten, die heute im Projektmanagement (und in der Unternehmenswelt) noch weitestgehend unbekannt sind, wie Resilienz und Denk- und Lernstile1 wie „Effectuation“2, Extreme-Thinking3 und Intuition.
Eine gute Beurteilung in komplexen Situationen und unter Zeitdruck erfordert, dass viele Informationen auf einmal erfasst und parallel verarbeitet werden. Genau das ist die Stärke intuitiver Prozesse. Doch gerade die Strukturen und Routinen, wie sie in Unternehmen heute zumeist aufgesetzt sind, stellen dabei ein Problem dar. Sie unterbinden Intuition im Grunde. Wir handeln auf Basis der Intuition, bauen anschließend jedoch eine Rechtfertigung durch Zahlen, Daten und Fakten zusammen. Durch diese post-hoc Rationalisierungen für unsere Entscheidung wird ein verzerrtes Bild von „rationalen Entscheidungen“ gezeichnet, welche die Intelligenz intuitiver Prozesse weiterhin unsichtbar hält. Hier steckt also weitestgehend ungenutztes Potenzial – auch und vor allem für die Unternehmenswelt.
Es gibt viele Beispiele von Situationen, in denen eine intuitive Entscheidungsstrategie zielführender ist als eine analytisch-rationale.4 Kurz gesagt sind dies Kontexte, in denen wir keine Chance haben, alle Informationen zu überblicken oder überhaupt an alle Informationen zu gelangen, die notwendig wären, um eine realistische Analyse zu erstellen. Dazu gehören z.B. Investment Entscheidungen, der Aufbau neuer Business Ventures, die Innovation von neuen Produkten, aber auch Urteile und Entscheidungen innerhalb sozialer Interaktionen. Und die gibt es im Business Kontext zu Hauf – denken Sie beispielsweise an Personalentscheidungen, Team-Interaktionen, Stakeholder Management u.v.m.
Aber was genau ist denn nun eigentlich diese Intuition? Prof. Gerd Gigerenzer definiert Intuition als:“Judgment that appears quickly in consciousness, whose underlying reasons we are not fully aware of, but that is strong enough to act upon.”5 Dieser “innere Kompass” für Urteile und Entscheidungen basiert auf der unbewussten Verarbeitung gespeicherten Wissens und vorangegangener Erfahrungen. Intuition ist also wie eine Art Puzzle, in dem gespeichertes Wissen unbewusst und auf neue Weise miteinander verknüpft wird. Die Wissenschaft ist sich inzwischen einig, dass es gewisse Grundbausteine gibt, die Intuition charakterisieren. Diese sind:
- Grundlage intuitiver Handlungen/Entscheidungen/Urteile ist erfahrungsbasiertes Wissen.
- Die kognitive Verarbeitung von Informationen im intuitiven Modus erfolgt holistisch (gestalt-ähnlich) und schneller als rationale Analyse.
- Die Verarbeitung verläuft unbewusst (was die Schnelligkeit ermöglicht).
- Der Output ist ein meta-kognitives Gefühl („feeling of rightness“, „feeling of error”, etc.).
Doch obwohl Intuition manchmal fälschlicherweise in eine esoterische Ecke gesteckt wird, ist daran nichts Magisches oder Paranormales. Im Gegenteil. Sie ist ein normaler Bestandteil der mentalen Fähigkeiten aller Menschen. Ein Bestandteil, der – genau wie andere Denkvorgänge auch – trainiert und kalibriert werden kann.
Auch, wenn der unbewusste intuitive Verstand ein wichtiger Einfluss auf unseren Alltag ausübt, sind wir uns zum größten Teil nicht bewusst darüber, wie viel Macht er hat.6 Dies ist auch deshalb ein Problem, weil das generative Potenzial von Intuition (Erkenntnisse, Ideen, „Aha-Momente“) dadurch verhindert wird. Intuition ist die Voraussetzung für Kreativität und damit notwendig für die viel bemühte Innovationskraft.7
Um den adaptiven Gebrauch von kognitiven Prozessen zu unterstützen, welche die Emergenz von Einfällen und Lösungen ermöglicht, braucht es ein Mindset geprägt von Offenheit und Awareness. Eine innere Haltung der Wertschätzung und Neugier, statt zwanghafter Kontrolle und Fehlervermeidung. Nur dadurch können echte Lernprozesse in Unternehmen stattfinden und erfolgreiche Transformationen zielführend gestaltet werden.
1 Belack, C., Di Filippo, D., & Di Filippo, I. (2019). Cognitive Readiness in Project Teams: Reducing Project Complexity and Increasing Success in Project Management. Productivity Press.
2 https://www.effectuation.at/
3 http://www.extreme-thinking.com/
4 Dr. Andreas Zeuch, „Keine Agilität ohne Intuition“, 2017, www.unternehmensdemokraten.de/keine-agilitaet-ohne-intuition/
5 Gigerenzer, 2007, Gut Feelings: The Intelligence of the Unconscious. Viking Press.
6 Mega LF, Volz KG (2014): Thinking about thinking: How the introspective error challenges dual-process theory. Frontiers in Psychology.
7 Sadler-Smith, E. & Shefy, E. (2004). The intuitive executive: Understanding and apply ‘gut feel’ in decision making, Academy of Management Executive
KURZBIOGRAFIE:
Dr. Francesca Mega ist Diplom-Biologin, Neurowissenschaftlerin & Beraterin für Adaptive Cognition, Agile Mindset & Mindful Leadership. Nach dem PhD am Center for Integrative Neuroscience forschte Francesca als Associate Fellow der Einstein Stiftung an der Berlin School of Mind & Brain. Anfang 2018 gründete Francesca EMBODIED INTUITION, um neue Konzepte für die Zukunft der Arbeit zu entwickeln. Diese basieren auf kognitiver Neurowissenschaft, Philosophie und Physiologie, sowie über 10 Jahren Erfahrung in Mindfulness und Embodiment.