Flipped Learning – New Ways of Learning | Teil 2

In einer Welt, die sich ständig weiterentwickelt, ist auch das Bildungssystem – sowohl in der Schul- als auch in der Erwachsenenbildung – gefordert, innovative Wege zu finden, um Lernenden ein effektiveres Lernen zu ermöglichen. Ein vielversprechender Ansatz, der in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen hat, ist das Lernkonzept des „Flipped Classroom“ oder „Flipped Learning“ – eine auf den Kopf gestellte Unterrichtsmethode, die traditionelle Lehr- und Lernmethoden herausfordert.

Flipped Learning in a Nutshell

  • Prinzip: Im Flipped Learning wird die Inputphase mit der Übungsphase vertauscht, d.h. die Vermittlung des Wissens erfolgt im Selbststudium und die vertiefenden Aktivitäten im Unterricht.
  • Das Flipped Learning geht weg vom klassischen Frontalunterricht hin zum selbstorganisierten Lernen.
  • Diese Lernmethode ist eine Form des Blended Learning.

Grafische Darstellung des Flipped Learning Konzepts

Abb. 1: Das Flipped Learning-Konzept (Eigene Darstellung nach Schmid 2020)

Hintergrund

Das Flipped Learning-Konzept (siehe Abb. 1) kommt aus den USA und findet seinen Ursprung im klassischen Schulunterricht. Es basiert auf einem Problem des traditionellen Unterrichts: Dass die Vermittlung des theoretischen Inputs viel Zeit beansprucht und damit wenig Raum bleibt für die Anwendungs- und Übungssituation. Diese erfolgt nach dem Unterricht in Form von Hausaufgaben, die der Lernende allein durchführt, ohne Fragen an den Lehrer stellen zu können.

„To flip“ bedeutet „umkehren/drehen“ und genau diesen Ansatz verfolgt Flipped Learning: Die klassische Unterrichtsorganisation wird umgekehrt. Statt Inhalte im Klassenzimmer zu vermitteln, eigenen sich Lernende den Stoff zu Hause selbständig an, während die Zeit im Klassenzimmer für die praktische Vertiefung genutzt wird. Was für Schulen oder Universitäten gilt, lässt sich analog für in den Bereich der Erwachsenenbildung in Form von Trainings oder Seminaren transferieren.

Die Wissensvermittlung erfolgt beim Flipped Learning mit Hilfe eines Skripts, Literaturstudiums oder Videomaterials, die als Leitlinie und Orientierung dienen – unter Einbeziehung neuer Medien. Die eigentliche Unterrichtszeit wird dann für interaktive Diskussionen, praktische Anwendungen und individuelle Betreuung genutzt. Der Lehrer bzw. Trainer wird zum Mentor und Coach. Lerninhalte werden gemeinsam getestet, vertieft und angewandt.

Es handelt sich also um eine spezielle Form des Blended Learning. Der Flipped Classroom-Ansatz kehrt die traditionelle Lehrmethode um, indem er den Schwerpunkt von der Lehrenden- auf die Lernenden-Zentriertheit verlagert. Dabei kann der Rahmen und Umfang des Flipped Learning variabel gehandhabt werden: Dieser kann nur einzelne Inhalte umfassen oder aber auch einen ganzen Themenkomplex.

Umsetzung

Das Konzept des Flipped Learning wird in zwei Stufen umgesetzt:

  1. Erarbeiten der Grundlagen anhand kuratierter Lernmaterialien

Lehrer oder Trainer erstellen ein Skript mit relevanten Lerninhalten und kuratieren Lernmaterialien wie Videos, Podcasts oder Online-Module, die die Lernenden vor dem Unterricht eigenständig bearbeiten. Das Lernmaterial wird im Selbststudium bearbeitet.

  1. Interaktiver Unterricht zur Vertiefung und Verankerung des Gelernten

Im Training oder Unterricht wird das erlangte Wissen angewendet und vertieft. Die gemeinsame Unterrichtszeit wird für Diskussionen, Gruppenaktivitäten und praktische Anwendungen genutzt. Lehrer stehen den Lernenden zur Verfügung, um Fragen zu klären, individuelle Unterstützung zu bieten und das Verständnis zu vertiefen. Dies fördert aktives Lernen und schafft eine dynamische Lernumgebung.

Vorteile des Flipped Learning

  1. Flexibilität

Ein großer Vorteil des Flipped Learning besteht darin, dass Lernende sich in ihrem eigenen Tempo den Lernstoff erarbeiten und bei Bedarf wiederholen oder zusätzliche Ressourcen konsultieren.

  1. Aktives Lernen

Der Fokus auf interaktiven Unterricht fördert aktives Engagement, Kollaboration und die Anwendung des Gelernten in realen Situationen. Lernende haben den Raum, ihr Wissen aktiv anzuwenden und Fragen zu stellen, während der Lehrer oder Trainer als Unterstützer und Moderator fungiert.

  1. Individualisierung des Lernens

Durch die Verlagerung der Vermittlung der Grundkenntnisse und Theorie ins Selbststudium, haben Lehrende mehr Zeit, sich auf die individuellen Bedürfnisse der Lernenden zu konzentrieren und ihnen gezielt zu helfen. Dies ermöglicht eine differenzierte Betreuung und stellt sicher, dass alle Lernenden ihr volles Potenzial entfalten.

  1. Entwicklung von Schlüsselkompetenzen

Flipped Learning fördert nicht nur das fachliche Wissen, sondern auch die Entwicklung von Schlüsselkompetenzen wie Selbstorganisation, Eigenverantwortung, kritisches Denken oder Kollaboration. Der Lernende ist gefordert, sich aktiv am Lernprozess zu beteiligen.

  1. Höhere Lernziele

Der vermutlich größte Mehrwert des Flipped Learning ist die Erreichung von höheren Lernzielen. Die Klassifizierung „höher“ orientiert sich dabei an der Lernzieltaxonomie von Benjamin Bloom (siehe Abbildung 2). Als Erziehungswissenschaftler und Psychologe hat Bloom mit seiner 6-stufigen Taxonomie der Lernziele im kognitiven Bereich den Grad des Denkens und des Verstehens in Lernprozessen kategorisiert. Während die unteren Stufen die grundlegenden kognitiven Fähigkeiten darstellen, bilden die oberen Stufen komplexere Denkprozesse ab.

Bloom-Stufen - Flipped Learning

Abb. 2: 6-stufige Lerntaxonomie nach Benjamin Bloom (Eigene Darstellung nach Bloom et al. 1956)

Im traditionellen Unterrichtsmodell werden die Stufen „Wissen“ und „Verständnis“ in der Präsenzphase vermittelt. Die Erreichung der höheren Lernziele ist Teil der Hausaufgaben und damit stark von der Ausdauer und Motivation des Einzelnen abhängig. Nachteilig ist auch, dass kein Lehrer oder Trainer für Fragen zur Verfügung steht.

Das Flipped Learning dreht diesen Ansatz um: „Wissen“ und „Verständnis“ wird von den Lernenden im Selbststudium geschaffen. In der Präsenzphase wird das Erlernte dann angewendet oder kollaborativ analysiert und vertieft. Der Trainer unterstützt die Lernende dabei, ihr kognitiven Fähigkeiten auf eine höhere Ebene zu bringen.

Herausforderungen

Bei allen Vorteilen, die Flipped Learning mit sich bringen kann, gibt es jedoch auch Herausforderungen. Der zeitliche Aufwand ist sowohl auf Seiten der Lernenden, aber auch für die Lehrenden sehr hoch, da die Erstellung des Vorbereitungsmaterials mit erhöhtem Aufwand verbunden ist.

Erfolgt die Vorbereitung vor der Präsenzphase nicht, wird auch die Vertiefung der Fähigkeiten aufgrund des unterschiedlichen Wissensstands stark erschwert. In der Selbstlernphase sind die Lernenden gefordert, ein hohes Maß an Selbstorganisation mitzubringen. Gerade in der Erwachsenenbildung und im Bereich des Corporate Learning zeigt sich häufig die Schwierigkeit, die nötige Vorbereitung in die tägliche Routine zu integrieren.

Der Lernende ist in der Regel stark in seinem Arbeitsalltag gefordert und in zeitkritische Projekte eingebunden. Wichtig ist daher, wenn es sich um eine berufliche Weiterbildung handelt, dass dem Mitarbeitenden durch das Unternehmen der entsprechende Freiraum für die Weiterbildung eingeräumt wird. Als sinnvoll hat es sich hier erwiesen, die Fortbildung als Bestandteil der Zielvereinbarung zwischen dem Teilnehmenden und der Führungskraft zu gestalten.

Fazit

Der Ansatz des Flipped Learning repräsentiert einen aufregenden Schritt in Richtung innovativer Bildung und kann situativ eingesetzt beachtlichen Wissenszuwachs bringen. Durch die Umkehrung traditioneller Lehrmethoden fördert er nicht nur ein tieferes Verständnis der Unterrichtsinhalte, sondern bereitet die Lernenden auch besser auf die Anforderungen der modernen Welt vor und trägt zu einer dynamischeren und anpassungsfähigeren Bildung bei.

In unseren Tiba Trainings kommen „New Ways of Learning“ wie Flipped Learning oder Learning Out Loud  regelmäßig und gerne zur Anwendung, um die Trainingsteilnehmer mit neuen Lernkonzepten vertraut zu machen und das Lernen zu erleichtern.

Gerade in unseren Vorbereitungstrainings zu Zertifizierungen ist Flipped Learning ein Konzept, das bei unseren großen Kunden sehr erfolgreich im Einsatz ist. Wenn die Weiterbildung mit einer abschließenden Zertifizierungsprüfung verbunden ist und das Commitment der Teilnehmenden und des Unternehmens als Sponsor vorhanden ist, führt Flipped Learning nach unserer Erfahrung zu nachhaltigem und tief verankertem Lern- und damit auch zu Zertifizierungserfolg.

Quellen

Schmid, S. (2020). Flipped Classroom: mehr Zeit und bessere Lernerfolge. https://lernraumdesign.de/flipped-classroom/ [abgerufen am 17.04.2024].

Bloom, B. S. (Hrsg.), Engelhart, M. D., Furst, E. J., Hill, W. H. & Krathwohl, D. R. (1956). Taxonomy of Educational Objectives – The Classification of Educational Goals. Handbook 1, Cognitive Domain, Longman, New York. https://web.archive.org/web/20201212072520id_/https://www.uky.edu/~rsand1/china2018/texts/Bloom%20et%20al%20-Taxonomy%20of%20Educational%20Objectives.pdf [abgerufen am 17.04.2024].

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