Connect the (digital) dots: Dagmar Wötzel im Gespräch zu Best Practices aus dem Hause Siemens

Die Digitalisierung und die damit verbundene Verfügbarkeit von Informationen stellen bisher als erfolgreich geltende Unternehmensstrategien in Frage. Schnell auf veränderte Marktsituationen zu reagieren, erfordert eine hohe unternehmerische Anpassungsfähigkeit. Für Führungskräfte bedeutet das, gewohnte Kontrolle aufzugeben und dem Prinzip der Selbststeuerung zu vertrauen. Kann dieses Abenteuer erfolgreich gelingen?

Dagmar Wötzel, People Transformation Lead in der Division Power and Gas bei der Siemens AG, hat uns Rede und Antwort gestanden und verrät Details hierzu. Sie beschäftigt sich seit fast 30 Jahren mit Transformation Management im Siemens-Konzern.

Sie wollen sie live erleben? Dann besuchen Sie uns doch auf den nächsten » PM-Tagen am 3. und 4. April 2019. Dort wird sie einen Best-Practice-Vortrag halten.

Frau Wötzel, was bedeutet unternehmerische Anpassungsfähigkeit?

Dagmar Wötzel: Was Organisationen heute brauchen, sind Mechanismen, mit denen man schnell miteinander zu Lösungen kommt. Die Entscheidungsstrukturen in pyramidal hierarchisch organisierten Unternehmen sind zu langsam geworden. Dort liegen die kontextbezogenen Informationen bei den Mitarbeitern, viele Entscheidungen werden durch übergeordnete Führungskräfte getroffen. Der Abstimmungsprozess kostet Zeit. Agile oder, dieser Ausdruck gefällt mir besser, adaptive Unternehmen operieren hier schneller und angepasster an den jeweiligen Markt.

Viele deutsche Unternehmen gelten als sehr effizient. Bedeutet effizient nicht auch schnell?

Wötzel: Eine hohe Effizienz erreichen wir durch eine immer stärkere Standardisierung. Wenn wir standardisierte Produkte in hohen Stückzahlen produzieren, sind wir effizient. Die Digitalisierung wirkt dem allerdings entgegen. Kundenspezifische Produkte werden stärker gefragt, oft sogar in der Losgröße eins. Da sehen wir uns Prozessen und Herausforderungen gegenüber, die wir identisch vorher noch nie gelöst haben. Um im Markt zu bestehen, müssen wir zum einen den Kunden viel schneller und besser verstehen, seine Bedürfnisse teilweise auch schon vordenken, und zum anderen mit solchen Situationen schnell umgehen können.

Agil oder adaptiv – Wie kann eine erfolgreiche Transformation gelingen?

Wötzel: Schneller Entscheidungen zu treffen geht einher mit einer Veränderung von Verantwortlichkeiten und bestehenden Rollen. Diese Adaption funktioniert in zwei Richtungen. Wenn Führungskräfte bereit sind, ihre gewohnte Kontrolle aufzugeben, brauchen wir auch Mitarbeiter, die im Umkehrschluss bereit sind, diese Verantwortung zu übernehmen. Und umgekehrt. Gewohnte Verhaltensweisen – das, was uns in der Vergangenheit erfolgreich gemacht hat – aufzugeben, fällt einigen sehr schwer. Andere wiederum sind begeistert und lassen sich schnell darauf ein. Entscheidend ist Vertrauen und ein bisschen Mut, Neues auszuprobieren. Das gilt für Mitarbeiter und Führungskräfte gleichermaßen, es fällt nur bei den Führungskräften aufgrund ihrer exponierteren Stellung mehr auf.

Veränderung verunsichert. Wie lässt sich eine neue Sicherheit vermitteln?

Wötzel: Dazu kann ich nur sagen: Man muss es ausprobieren und erleben – am besten erst einmal in kleinen Themen und einem sicheren Rahmen. Aus meiner Tätigkeit als People Transformation Lead kenne ich Situationen, in denen sich schüchterne Mitarbeiter vor 100 Kollegen auf eine Bühne stellen und über ihre Idee sprechen. Die sind oft total beeindruckt, dass sich spontan fünf, sechs oder mehr Kollegen finden, die mit ihnen an dieser Idee arbeiten möchten. Wir nennen das „pitchen“ wie beim „Elevator Pitch“. Wenn wir Mitarbeitern Raum geben, auch dazu, Fehler zu machen, wenn wir sie einladen, ihre Kompetenzen einzubringen, dann arbeiten sie mit vollem Engagement erfolgreich an einer Sache. An einem Prototyp, nicht gleich an allen Fällen. So kann der einzelne und das Team im Kleinen lernen – da passieren dann auch kleine Fehler. Und erst wenn eine gute Lösung gefunden ist, lässt sich das Neue auf alle Fälle ausweiten. In der systemischen Organisationsentwicklung inszenieren wir dazu Dialoge, die Menschen erlauben, sich zu verändern und weiterzuentwickeln.

Wenn Mitarbeiter mehr Verantwortung und Selbststeuerung übernehmen, welche Rolle bleibt dann für die Führungsverantwortlichen?

Wötzel: Agile Selbstorganisation bedeutet ja nicht keine, sondern vielmehr informelle Führung in der Sacharbeit. In dem Moment, in dem ein Mitarbeiter sagt: „Daran glaube ich, daran möchte ich arbeiten.“ übernimmt er diese Führungsrolle. Das heißt aber nicht, dass Führungskräfte keine Aufgaben mehr haben. Sie sind sehr wichtig, um die Bühne bereitzustellen und zu halten, auf der die Mitarbeiter agieren. Es benötigt eine entsprechende Vertrauenskultur, wenn die Führungsverantwortlichen nicht mehr die Hauptakteure im Unternehmensstück sind. Dieses Verhalten ist erfahrungsgemäß nicht von heute auf morgen umsetzbar, aber – die gute Nachricht – wie ein Muskel trainierbar.

Kurzbiografie Dagmar Wötzel

Dagmar Wötzel beschäftigt sich seit fast 30 Jahren mit Transformation Management im Siemens-Konzern. Nach ihrem Studium der Betriebswirtschaftslehre war sie bei Siemens zunächst für das Einführungsmanagement von SAP R/3 verantwortlich und arbeitete später als Senior Management Consultant. Acht Jahre lang gehörte sie zum Kernteam des globalen Konzernprogramms PM@Siemens und brachte ihre Kompetenzen außerdem ins Programm Product Lifecycle Management ein. Seit Dezember 2016 ist sie People Transformation Lead in der Division Power and Gas. Frau Wötzel unterrichtet im MBA der Universität Würzburg, wo sie eine Doktorarbeit zum o.a. Thema eingereicht und im November 2018 erfolgreich verteidigt hat. Sie ist außerdem Master am Institut für systemische Beratung in Wiesloch.

 

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