Der bereits durch erlassene Gesetze entstandene Handlungszwang ist der perfekte Anlass, sich dem Thema Nachhaltigkeit nun auch aus Projektmanagement-Sicht zu widmen und wichtige Lücken in der PM-Praxis zu schließen. Denn es geht darum, Verantwortung zu übernehmen – für Projekte und eine bessere Zukunft, für die Umwelt, die Gesellschaft und den nachhaltigen Profit.
Im Interview verrät Till H. Balser, Geschäftsführer der Tiba Managementberatung und Mitglied des Bundeswirtschaftssenats BVMW, was das genau bedeutet. Feststeht: Es geht um viel mehr als Papier- und Stromverbrauch.
Mit dem Motto „SUSTAIN.ABILITY“ widmeten sich die PM-Tage einem aktuellen Thema, das im Projektmanagement noch kaum eine Rolle spielt. Welche Bedeutung hat der Begriff in Bezug auf Projektmanagement?
Till H. Balser: Zunächst geht es um Vorgaben, die ein Projektleiter, wie jeder andere Manager auch, aus Sustainability-Gesichtspunkten in der Umsetzung seiner Arbeit berücksichtigen sollte. Dabei geht es um die 3 Ps: People, planet, profit. Ein Manager muss sich den Sustainability-Themen verschreiben, das heißt menschenschonend, planetenschonend und ökonomisch schonend agieren.
Worum es mir persönlich allerdings geht, reicht viel weiter. Ich sage: ein Projektleiter hat auch die Verantwortung für die Zeit danach. Hier möchte ich den Grenfell-Tower in London als Beispiel nehmen oder das Versinken der Horizon. Am Anfang stand jedes Mal ein Projekt, an dessen entscheidenden Stellen Fehlentscheidungen getroffen wurden. Fehlentscheidungen können bei Großprojekten wie diesen zu Desastern führen. Die sind hier jeweils in der Nach-Projektphase geschehen. Mir geht es beim Sustainability-Gedanken darum, dass Projektleiter auch eine Verantwortung über das Projektende hinaus behalten. Ich befasse mich deshalb mit der Frage, wie man diese Verantwortung stärken und formal regeln kann.
Das Problem dieser genannten Skandale ist: Sie sind juristisch nicht aufklärbar. Ein gutes Beispiel dafür ist die Stadtbibliothek Köln, wo man Baggerführer und Monteure angeklagt hat, statt diejenigen, die die tatsächliche Verantwortung für das Projekt getragen haben. Für die deutsche Projektmanagement-Zunft ist es beschämend, dass Verantwortlichkeiten nicht klar geregelt sind und Strafgerichte Jahre später mühselig versuchen müssen, Verantwortliche zu finden.
Für Projektergebnisse gibt es aber eigentlich nur zwei Verantwortliche: den Projektleiter für die Zeit bis zum Projektende, und danach einen definitiven Projektauftraggeber. Wichtig ist: Bei der Projektübergabe muss es zwischen beiden eine klare Schnittstelle geben. Dabei muss der Projektleiter in einem Sustainability-Bericht mitteilen, welche Risiken bestehen. Der Projektauftraggeber muss diese Risiken wiederum übernehmen oder das Projekt verlängern, bis die Risiken beseitigt wurden. Ob absichtlich oder unabsichtlich, sind diese Verantwortlichkeiten leider nie geregelt. Dass Projektleiter keine Verantwortung übernehmen, ist eine Schande für unsere Zunft.
Werden Projektleiter diese Verantwortung übernehmen wollen? Wo sie sich sowieso schon aufreiben zwischen Zeit-, Kosten- und Qualitätsdruck…
Balser: Meiner Meinung nach sollte es darum gehen, dass Projektleiter ein Projekt abgeben und sich danach sicher sein können, formal komplett entlastet zu sein. Deswegen muss sich ein Projektleiter moralisch und ethisch der Verantwortung für die Zeit danach stellen. Ich möchte dahin kommen, dass ein Projektleiter dies freiwillig tut. In einem Sustainability-Report listet er Risiken auf, was er getan hat für die Welt danach, aber auch wo er Risiken sieht. Der Auftraggeber muss das formal abnehmen und von diesem Zeitpunkt an jedwede Risiken tragen.
Wie viel Einfluss haben Projektleiter denn tatsächlich auf die entsprechende Gestaltung ihrer Projekte? Oder anders gefragt: Wer sollte noch die Verantwortung übernehmen? Braucht es einen Nachhaltigkeits-Beauftragten ebenso wie es Digital-Experten gibt?
Balser: In jedem Fall! Dabei darf es jedoch nicht nur – wie es momentan der Fall ist – um Fragen wie den Papier- oder Stromverbrauch gehen. In Projekten ist das Thema bisher nicht bekannt und nicht berücksichtigt worden. Stattdessen gibt es Stabsstellen, die sich dem Thema annehmen. Notwendig ist jedoch ein Sustainability-Manager für Projektarbeit, zentral aufgehängt, gerne in einem zentralen PMO. Seine Aufgabe sollte es sein, Projekte zu beraten und Projektleiter zu schulen. Bisher wird all das nicht gemacht. Mein Anliegen ist es, das Projektmanagement in diese Richtung zu treiben.
Projekte sollen heute agil sein. Doch ist agiles und gleichzeitig nachhaltiges Projektmanagement nicht schwer vereinbar? Verhindern Dynamik und Flexibilität nicht auch ein Stück weit den Fokus auf Sustainability?
Balser: Das ist durchaus richtig. Geht man von people, planet, profit aus und hat man Projekte, die in die Natur eingreifen – beispielsweise eine ICE-Trasse –, dann ist Agilität nur bedingt umsetzbar. In diesem Fall muss man einen Gesamtplan haben, alles bis ins Kleinste durchdacht. Agiles Vorgehen ist vor allem bei Innovationsprojekten angesagt, also immer dann, wenn man nicht weiß, wie es enden wird.
Andererseits ist der Faktor Mensch – people – in Projekten wichtig. Entsprechend muss mit Menschen umgegangen werden. „Schone den Menschen“ ist ebenso wichtig wie „schone den Planeten“. Selbstverantwortung und Teamwork sind hier weitere Schlagworte.
Dementsprechend geht es bei Agilität nicht nur um Regularien, sondern vor allem um Bewusstseinsbildung. Es geht um die Stärkung der Verantwortung in den Projekten. Da ich jedoch kein Unternehmen mit einem Sustainability-Beauftragten kenne, geht es zunächst um Awareness und um Stärkung der Eigenverantwortung. Und das ist sehr wohl vereinbar mit agilen Prinzipien.
Brechen wir das Ganze doch auf ein Einzelprojekt herunter: Was wären kleine Maßnahmen, die Projektleiter einführen und umsetzen können?
Balser: In Bezug auf die Umsetzung kann man Projektleitern eine Checkliste an die Hand geben. Was den Profit anbelangt, bildet das magische Dreieck eine gute Basis. In Sachen Profitabilität ist es zudem wichtig, den Business Case einzuhalten. Das Commitment gegenüber Unternehmen und Gesellschaft sorgt dafür, dass nicht unnötig Ressourcen verbraucht werden. In Bezug auf den Planeten muss sich ein Projektleiter zudem immer wieder hinterfragen. Beispielsweise: Ist es nötig, bestimmte Teile in China anfertigen zu lassen, statt im Bayerischen Wald? In Projekten darf es nicht mehr ausschließlich um den Preis gehen, Projektleiter müssen hier Spielraum haben.
Doch eigentlich geht es mir um die Zeit danach. Hier möchte ich, dass Projektleiter die Möglichkeit haben, Sustainability-Checks durchzuführen. Sie sollen regelmäßig prüfen, was ein Produkt für die Zeit danach bedeutet. Damit sollen Pannen ausgeschlossen werden, die Konzerne im Zweifel im Nachhinein Milliarden kosten.
Schließlich muss die Kompetenz des Projektleiters dahingehend gestärkt werden, dass er im Sinne der Nachhaltigkeit Entscheidungen treffen kann, auch wenn sie den kurzfristigen, schnellen Erfolg gefährden. Hier möchte ich sogar noch einen Schritt weitergehen: Projektleiter sollten im Falle des Falles die Möglichkeit haben, Projekte abzulehnen. Die meisten Projektleiter verstehen sich als Empfehlsempfänger, für mich sind sie aber mehr als das. Sie haben die Aufgabe, etwas Sinnvolles für die Nachwelt zu erstellen. In meiner Vision müssen sie Projektaufträge aus ethischen Gründen ablehnen können, ohne dafür gekündigt zu werden. Damit gehe ich einen ganz neuen Weg.