Das Thema Diversität gewinnt zunehmend an Relevanz im gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Diskurs. Gründe wie ethische Verpflichtung, Fachkräftemangel und Quotenerfüllung, die in Bezug auf die Steigerung von Diversität genannt werden, geben dem Thema allerdings zugegebenermaßen keinen besonders attraktiven Anstrich. Was wäre aber, wenn gesteigerte Diversität auch gesteigerte Resilienz in Unternehmen bedeuten würde? In diesem Artikel soll der mögliche Zusammenhang zwischen Diversität und Unternehmensresilienz beleuchtet werden. Dafür werden zunächst die beiden Begriffe – wie sie hier verstanden werden sollen – definiert und anschließend untersucht, welcher Zusammenhang zwischen Diversity und Resilienz besteht und wie Diversity sinnvoll in Unternehmen eingebettet werden kann.
Wenn wir aktuell Unternehmen – aber auch die gesamte Gesellschaft und Volkswirtschaft – betrachten, so gibt es viele, die nicht mehr aus dem Krisenmodus herauskommen. Der Corona Virus und dessen Folgen haben viele Unternehmen zwei Jahre lang beschäftigt und tun dies auch teilweise immer noch. Und gab es im Frühjahr die leichte Hoffnung, dass diesbezüglich das Schlimmste hinter uns liegt und wir wieder optimistisch(er) in die Zukunft blicken können, so wurden wir leider eines Besseren belehrt. Der Krieg mit seinen vielfältigen Folgen wird – so sieht es aktuell aus – zu massiven (volks-)wirtschaftlichen Einbußen, aber auch gesellschaftlichen Spannungen führen.
Dies ruft einen „Dauerbrenner“ auf den Plan, nämlich die Forderung nach mehr Resilienz, um mit Krisen und deren Auswirkungen besser umgehen zu können. Resilienz, sowohl auf der individuellen als auch der unternehmerischen Ebene.
Auch das Thema Diversity ist in vieler „Unternehmens-Munde“. Zum einen, ganz pragmatisch gesehen, um den Fachkräftemangel, dem sich viele Unternehmen gegenübersehen, besser zu bewältigen und damit ökonomisch erfolgreich(er) zu sein. Zum anderen gibt es aber auch Unternehmen - denken wir hier nur an Bereiche der öffentlichen Hand - die bestimmte Quoten erfüllen müssen und daher gezwungen sind, sich mit diesem Thema zu beschäftigen. Schließlich haben aber viele Unternehmen auch erkannt, dass die ethische Verpflichtung zu Gleichberechtigung „aller Art“ eine wichtige unternehmerische Verantwortung ist, Stichwort Corporate Social Responsibility (CSR).
Auf den ersten Blick haben diese Themen nicht viel miteinander zu tun. Aber ist das wirklich so oder gibt es hier doch einen Zusammenhang? Fördert also Diversity die Unternehmensresilienz? Ich denke ja, und der “gesunde Menschenverstand” würde diesem Statement vermutlich auch zustimmen. Doch wie sieht das die Wissenschaft bzw. gibt es dazu schon wissenschaftliche Erkenntnisse?
Viel ist zum Thema Resilienz bereits gesagt oder geschrieben worden. Den Fokus in diesem Artikel legen wir auf die Unternehmensresilienz. Darunter soll die Fähigkeit einer Organisation verstanden werden, gut mit Krisen umzugehen. Nimmt man diese Definition, so beschreibt Resilienz die Robustheit eines Unternehmens bezogen auf die verschiedenen Phasen einer Krise (vor, während und nach der Krise). Etwas genauer formuliert meint Resilienz die Fähigkeit, mögliche Gefahren vorherzusehen, mit unerwarteten Ereignissen umzugehen, Probleme effektiv zu lösen und aus den Gegebenheiten zu lernen, um dynamisch Verbesserungen umzusetzen (Duchek, S. 5).
Interessant ist, dass Diversity häufig noch mit dem Begriff „Geschlechtergerechtigkeit“ gleichgesetzt wird. Doch dies ist – nach gängiger „Lehrmeinung“ – bei Weitem nicht ausreichend. Im unternehmerischen Sinne versteht man unter Diversity die Vielfalt, die sich auf Merkmale und Dimensionen wie Religion, Nationalität, Ausbildung, sexuelle Orientierung, Lebenseinstellung, Geschlecht/Gender aber auch Behinderung und Beeinträchtigung bezieht (Genkova & Ringeisen, 2016, S.63). Fasst man den Begriff Diversity so weit, stellt sich nun die Frage, wie Diversity die Unternehmensresilienz fördern kann. Oder anders gesagt, „wie Arbeitsbedingungen gestaltet werden können, damit Individuen und Teams resilient agieren können“ (Soucek, 2016, S. 134). Diversity könnte eine mögliche Antwort auf diese Frage sein.
Tatsächlich liegt es ein Stück weit auf der Hand, dass das Alter, verbunden mit einer entsprechenden Lebens- und Arbeitserfahrung, die persönliche Resilienz fördert. Damit kann sie zugleich auch der Unternehmensresilienz zugutekommen. Man stelle sich vor, dass ein:e 60-jährige:r Mitarbeiter:in mit 40 Jahren Berufserfahrung im Einkauf aktuell vor dem Problem der enormen Kostensteigerungen steht. Solch eine Situation hat diese:r sicher schon mehrfach in ihrem/seinem Berufsleben erlebt (Ölkrise, Leman-Pleite etc.), sodass hier auch aus Erfahrungswerten geschöpft und die Situation besser gemeistert werden kann, als wenn ein:e – gerade von der Hochschule kommende:r – knapp 30-Jährige:r vor der gleichen Herausforderung steht. Bringt man nun beide Erfahrungen – Berufserfahrung sowie frische universitäre Eindrücke und unvoreingenommenes Herangehen an Probleme – in einem Team zusammen, erhöht sich das Potential der Problemlösungsfähigkeiten.
Schaut man aber nach den anderen Aspekten von Diversity – bspw. Religion, Nationalität, Ausbildung, sexuelle Orientierung, Lebenseinstellung, Geschlecht/Gender - so ist eine positive Korrelation von einzelnen Aspekten mit der Zunahme von Resilienz nur noch schwer zu erkennen. Ist ein:e katholische:r Mitarbeiter:in mehr oder weniger resilient? Oder fördert die Herkunft aus dem arabischen oder amerikanischen Kulturkreis die Resilienz?
Auch von Seiten der Wissenschaft sind hierzu keine genauen Studien vorhanden, die einen eindeutigen Zusammenhang erkennen lassen würden, welche spezifischen Aspekte von Diversity die Resilienz fördern. Dies ist aber auch nachvollziehbar, wenn wir berücksichtigen, dass Aspekte häufig auch gemeinsam auftreten (z.B. Lebensalter und Berufserfahrung) und daher keine eindeutigen Wenn-Dann-Beziehungen auftreten.
Leichter ist es demgegenüber, in der Praxis zu erkennen, dass Aspekte von Diversity in den einzelnen Phasen einer Krise (vor, während und nach einer Krise) besonders wichtig sein könnten.
Was braucht es für Fähigkeiten, mögliche Probleme oder Krisen, schon bevor sie entstehen, zu erkennen? Hier hilft sicher das Alter bzw. die Lebens- und Arbeitserfahrung weiter, Probleme oder kritische Veränderungen im Unternehmensumfeld frühzeitig zu erkennen, weil erfahrene Mitarbeiter:innen „schon sehr viel gesehen haben“. Weiterhin könnte eine gute Mischung von Nationalitäten im Unternehmen aufgrund der vielfältigen Erfahrungshintergründe die antizipatorischen Fähigkeiten positiv beeinflussen. Dies hat auch Duchek (2020, S. 10) in seinem Artikel festgestellt: “experientially diverse groups have a higher potential to perceive variations in their environment...”.
Die Vielzahl an Erfahrungen und Blickwinkeln macht kritische Veränderungen im Unternehmensumfeld besser beobachtbar und identifizierbar. Dies belegen auch Untersuchungen zur mangelnden Problemerkennung des IWF (Internationaler Währungsfonds) in Bezug auf die Finanzkrise 2007. Es gehörte ursprünglich zu den Aufgaben des IWF, Krisen zu antizipieren. Die Untersuchungen kamen letzten Endes zu dem Schluss, dass unter anderem die Homogenität des IWF dazu beigetragen hat, dass die Vorhersagen eben nicht so präzise ausfielen (Duchek, 2020, S. 2).
Gerade bei komplexen Problemstellungen ist eine umfassende Analysefähigkeit, die von mehreren unterschiedlichen Blickwinkeln profitiert, durch Diversität steigerbar. Unterschiedliche Skills und Perspektiven können dazu führen, kreative und innovative Lösungswege für akute Probleme zu schaffen (Duchek, 2020, S. 12). Das ist offensichtlich kein zwingender Zusammenhang zwischen Diversität und Resilienz. Einleuchtend ist jedoch, dass ein gewisses „Gruppendenken“ durch eine Diversität der Mitarbeiter:innen in ihren Erfahrungen und Einstellungen erschwert wird - und somit leichter „out of the box“ und kreativ gedacht werden kann.
Nach einer Krise geht es vorrangig darum, in Form von effektivem Lernen aus den Problemen, gestärkt für die Zukunft hervorzugehen. Hierbei gilt es, die Fähigkeit zur Reflexion und effektivem Lernen zu stärken, also den Wissenspool der Organisation zu steigern. Auch hier unterstützen Alter, Lebens- und Berufserfahrung und unterschiedliche Erfahrungshintergründe durch Nationalität aber auch gesundheitliche Beeinträchtigungen, oder Erfahrungen bezüglich der eigenen sexuellen Identität dabei, für die Zukunft die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen. Stellen wir uns beispielsweise vor, dass ein körperlich oder psychisch eingeschränkt leistungsfähiger Mensch für sich feststellt, dass er/sie nicht (mehr) in der Lage ist, Krisen adhoc zu meistern, so wird er/sie vermutlich in Zukunft noch stärker darauf achten, Krisen frühzeitig zu erkennen und deren Auswirkungen auf sich abzumildern. Dieses “Lernen” kann er innerhalb der Organisation weitergeben und damit auch die organisationale Resilienz stärken.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass - jedenfalls bis jetzt - wissenschaftlich nicht geklärt ist, welche Diversitätsmerkmale genau besonders resilienzfördernd sein können. Wichtig scheint jedoch, den Gefahren eines homogenen Denkens Heterogenität entgegenzustellen.
Daraus ergibt sich allerdings die Frage – die auch in der einschlägigen Wissenschaft intensiv betrachtet wird – wie Diversität effektiv in Unternehmen eingebettet werden kann. Bei der Beantwortung dieser Frage kommt naturgemäß den Führungskräften eine besondere Rolle zu. Diese soll im Folgenden näher beleuchtet werden.
Die Voraussetzung für die sinnvolle Einbettung von Diversity in das Unternehmen ist das Vorhandensein einer entsprechenden Unternehmensstrategie. Dies ist die Aufgabe des Top-Managements. Darauf aufbauend kann und sollte entschieden werden, welche Diversitätsmerkmale besonders gut zur Umsetzung der Unternehmensstrategie geeignet sind. Haben wir es mit einem konservativ-bürokratischen Unternehmen zu tun, das vielleicht sogar behördenähnliche Aufgaben wahrnimmt, so werden Mitarbeiter:innen, die älter sind und einen einschlägigen kulturellen Hintergrund aufweisen vermutlich besser in der Lage sein, strikte Regeln einzuhalten und präzises Abarbeiten umzusetzen.
Handelt es sich demgegenüber um ein Unternehmen, das innovativ kurzzyklisch neue Technologien auf den Markt bringen muss, so werden tendenziell jüngere Mitarbeitende, die aus unterschiedlichsten Kulturkreisen kommen und unterschiedliche Erfahrungen gesammelt haben, solche Aufgaben erfüllen können.
Es geht also nicht um Vielfalt der Vielfalt wegen, sondern die gezielte Entscheidung, welche Diversitätsmerkmale bestmöglich auf die Erreichung der Unternehmensstrategie einzahlen. Hier ist von Seiten des Top-Managements eine entsprechende Klarheit notwendig, die dann auch transparent kommuniziert und konsequent umgesetzt werden muss.
Ist dieser elementare Schritt getan, so muss die gewählte Diversity-Strategie mit Leben gefüllt werden. Das ist Aufgabe aller Führungskräfte im Unternehmen. Sie übernehmen hier eine Vorbildfunktion und müssen die Diversität im täglichen Alltag managen. Dies zeigt sich beispielsweise im Recruiting: Führungskräfte müssen ihre eigenen Denkmuster aktiv hinterfragen, um zu verhindern, nur Personen in ihr Team zu holen, die möglichst dieselben Interessen, Erfahrungen oder auch Einstellungen innehaben.
Zum anderen ist aber auch die Mitarbeiterförderung und -weiterentwicklung unter dem Blickwinkel der Diversität zu gestalten. Im Falle unseres ersten Unternehmens wäre es fatal, wenn Mitarbeiter:innen über 50 keine Weiterbildungen mehr bekommen würden (was in vielen Unternehmen ja tatsächlich passiert), denn sie sind es, die dieses Unternehmen am Laufen halten. Führungskräfte sind an dieser Stelle dazu angehalten, darauf zu achten, dass jede Person gemäß ihrer Stärken und Schwächen individuell gefördert wird – und es in diesem Zusammenhang nicht zu Exklusion kommt.
Und schließlich geht es noch um die „tagtägliche“ Führung der Mitarbeiter:innen. Themen wie Kommunikation, Umgang mit Konflikten, Teamzusammenhalt etc. – aktuell natürlich auch noch besonders unter dem Fokus der virtuellen Führung – müssen auf die Bedürfnisse der Mitarbeitenden abgestimmt sein.
Betrachtet man die vorherigen Ausführungen mit den Augen einer Führungskraft, so kann all dies ein Gefühl der Überforderung oder gar Ängste auslösen. Denn diversitätsgerechte Führung bedeutet, andere Perspektiven einzunehmen, diese zu verstehen und daraus Schlussfolgerungen für das eigene zukünftige Führungsverhalten zu ziehen. Dies hat wiederum zur Folge, dass Führungskräfte hierbei unterstützt werden müssen, idealerweise durch die eigenen Führungskräfte oder entsprechende Maßnahmen von HR. Da die Herausforderungen der Umsetzung einer diversitätsgerechten Führung vermutlich für jede Führungskraft andere sind, bieten sich eher individuelle Maßnahmen – gegenüber „universellen“ Maßnahmen wie bspw. einem Training – an. Hier kann Coaching gute Dienste leisten.
Das primäre Ziel von Coaching ist die Verhaltensveränderung. Dabei geht es zunächst darum, die Gründe für das eigene Verhalten zu erkennen und dann – im Fokus – konkrete Verhaltensänderungen, die für den Coachee stimmig sind, umzusetzen.
Wenn es sich also um eine Führungskraft handelt, die sich grundsätzlich mit Diversität schwertut, weil sie seit 30 Jahren in klassisch hierarchischen, deutschen, männerorientierten Unternehmen tätig war, so wird der Fokus in einem Coaching vermutlich zunächst auf der Frage liegen, wie dieser Führungskraft die generelle Wertschätzung von Diversity (besser) gelingen kann. Dazu könnte zunächst gemeinsam mit einem Coach herausgearbeitet werden, wieso Diversity für das Unternehmen wichtig ist, um dann zu überlegen mit welchen konkreten nächsten Schritten Diversität durch diese Führungskraft (besser) gelebt werden kann. Dabei sollte die individuelle Situation der Führungskraft betrachtet und mögliche Konfliktherde und potentielle kontraproduktiven Dynamiken ausgemacht werden.
Auch wenn sich das vorher Gesagte auf einzelne Führungskräfte bezogen hat, so kann auch ein Team-Coaching mit genau den gleichen Fragestellungen oder Inhalten sinnvoll sein, und zwar immer dann, wenn die „Probleme“ eben nicht nur individuell bei einzelnen Personen liegen, sondern mehrere Führungskräfte oder „system-immanent“ sogar das ganze Unternehmen betreffen.
Die wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Zusammenspiel zwischen einzelnen Diversity-Merkmalen und der Unternehmensresilienz sind noch nicht sehr ausgeprägt. Deutlicher ist demgegenüber der Zusammenhang zwischen einzelnen Merkmalen und der Fähigkeit eines Unternehmens, in den verschiedenen Phasen einer Krise zu bestehen.
Trotzdem ist Diversity kein Selbstzweck und kann sich nicht von allein ohne entsprechende Begleitung positiv auf ein Unternehmen auswirken, sondern muss eingebettet sein in die Unternehmensstrategie. Diese muss durch das Top-Management verabschiedet und von den Führungskräften umgesetzt und vorgelebt werden. Hier kann Coaching zur notwendigen Verhaltensänderung beitragen, damit Diversity kein Lippenbekenntnis bleibt, sondern in den gewünschten Facetten auch wirklich im Unternehmen gelebt wird.
Duchek, Stephanie; Raetze, Sebastian, Scheuch, Lanina (2020). The role of diversity in organizational resilience: A theoretical framework. BuR – Business Research 13, 387-423
Genkova, Petia; Ringeisen, Tobias (Hrsg.) (2016). Handbuch Diversity Kompetenz: Band 1: Perspektiven und Anwendungsfelder. Springer Reference Psychologie, Band 1
Soucek, R., Ziegler, M., Schlett, C. et al. (2016). Resilienz im Arbeitsleben – Eine inhaltliche Differenzierung von Resilienz auf den Ebenen von Individuen, Teams und Organisationen. Gr. Interakt Org. 47, 131–137