Was ist Learning Analytics?
Stellen wir uns vor: Zwei Mitarbeitende absolvieren dasselbe e-Learning-Modul. Die erste Person klickt sich in 15 Minuten durch, besteht das Abschlusstestquiz auf Anhieb und verlässt die Plattform. Die zweite Person verbringt 45 Minuten im Kurs, sieht sich einige Abschnitte mehrfach an, überspringt aber einen wichtigen interaktiven Teil. Am Ende besteht sie das Quiz nur knapp.
Beide haben formal das Gleiche gelernt – aber haben sie auch wirklich das Gleiche verstanden? Lernen sie auf dieselbe Weise? Wo genau liegen ihre Stärken und Schwächen?
Learning Analytics hilft, genau diese Fragen zu beantworten. Der Begriff beschreibt den systematischen Einsatz von Datenanalysen, um Lernprozesse besser zu verstehen und gezielt zu verbessern. Es geht darum, aus digitalen „Spuren“ – also etwa Klickverhalten, Verweildauer, Testverläufen oder Interaktionen – Aussagen über individuelle Lernverläufe und Gruppenmuster abzuleiten.
Die meistzitierte Definition stammt von George Siemens und Dragan Gasevic (2012):
„Learning Analytics is the measurement, collection, analysis and reporting of data about learners and their contexts, for purposes of understanding and optimizing learning and the environments in which it occurs.“
Learning Analytics, Educational Data Mining & Co. – Was ist der Unterschied?
Learning Analytics ist eng verwandt mit Begriffen wie Educational Data Mining (EDM) oder Academic Analytics. Während EDM stärker auf den algorithmischen Teil fokussiert ist – also zum Beispiel maschinelles Lernen zur Mustererkennung – verfolgt Learning Analytics meist einen anwendungsbezogenen und didaktischen Fokus. Ziel ist es, mit den Ergebnissen konkrete Entscheidungen im Lernprozess zu unterstützen.
In Organisationen bedeutet das beispielsweise:
Lernende erhalten individuelle Empfehlungen, was sie als Nächstes lernen sollten.
Trainer oder HR-Teams sehen in Dashboards, wo Unterstützungsbedarf besteht.
Führungskräfte erkennen, ob Lernziele mit Geschäftszielen zusammenpassen.
Learning Analytics ist damit nicht nur ein technisches Werkzeug – sondern ein strategisches Element für zielgerichtete Personalentwicklung, das Lernen besser mit Unternehmenszielen verzahnt.
Welche Daten werden analysiert und wie?
Learning Analytics basiert auf der Auswertung sogenannter Lerndaten (learning traces) – also digitale Spuren, die Lernende während eines Lernprozesses auf einer Plattform hinterlassen. Dabei geht es nicht um vereinzelte Klicks, sondern um Muster, Zusammenhänge und Entwicklungen, die über die Zeit beobachtet werden können (Greller & Drachsler, 2012).
Je nach System, Ziel und Anwendungsbereich lassen sich diese Daten in verschiedene Kategorien einteilen (Ifenthaler & Yau, 2020):
Hierzu zählen Klickpfade, Verweildauer auf Seiten, Scrollverhalten, Videowiedergaben, Teilnahme an Quizzes oder Forenaktivitäten. Sie geben Aufschluss darüber, wie intensiv und mit welchen Inhalten Lernende interagieren.
Beispiel: Eine Lernplattform erkennt, dass viele Nutzende bei einem bestimmten Video stoppen oder zurückspringen – ein Hinweis auf schwierigen Stoff oder schlechte Didaktik.
Dazu gehören Testergebnisse, Fortschrittsanzeigen, Wiederholungsversuche oder Fehlerraten. Diese Daten zeigen, was gelernt wurde und wo noch Unsicherheiten bestehen.
Beispiel: Eine Nutzerin besteht einen Test erst nach dem dritten Versuch – ein automatisiertes Feedbacksystem kann daraufhin gezielte Übungen empfehlen.
Forenbeiträge, Kommentare, Teamarbeiten oder Kollaborationen in Lernumgebungen zeigen, wie stark jemand am sozialen Lernprozess beteiligt ist.
Beispiel: In sozialen Lern-Settings können besonders aktive Beiträge identifiziert und hervorgehoben werden – als Lerntreiber für andere.
Wie werden diese Daten verarbeitet?
Die Verarbeitung erfolgt meist automatisiert über Learning-Management-Systeme (LMS) oder spezielle Analyseplattformen. Dabei kommen sowohl einfache statistische Verfahren (z. B. Mittelwerte, Korrelationen) als auch komplexere Algorithmen zum Einsatz – bis hin zu prädiktiven Modellen oder KI-basierten Empfehlungssystemen (Greller & Drachsler, 2012).
Wichtig ist: Nicht jede Plattform nutzt automatisch Learning Analytics. Erst wenn Daten gezielt erhoben, systematisch ausgewertet und in den Lernprozess zurückgespiegelt werden, spricht man wirklich von Learning Analytics.
Nicht jede Datenspur ist aussagekräftig. Ein häufiger Fehler in der Praxis: Daten zu sammeln „weil man es kann“, ohne klaren Erkenntnisgewinn. Entscheidend ist immer, welche Frage beantwortet werden soll und ob die vorhandenen Daten dafür geeignet sind (Ifenthaler & Yau, 2020).