Datengestütztes Lernen

Learning Analytics – Was? Wie? Warum?

KI-generiertes Bild eines aufgeschlagenen Buchs mit Absolventenkappe und Analysen darauf

Digitale Lernplattformen sind aus der betrieblichen Weiterbildung nicht mehr wegzudenken. Doch trotz steigender Investitionen bleibt oft unklar: Wie wirksam ist das Lernen eigentlich? Welche Inhalte bleiben hängen, welche nicht – und warum?

Genau hier setzen Learning Analytics an. Gemeint ist die systematische Sammlung und Auswertung von Lerndaten mit dem Ziel, Lernprozesse besser zu verstehen und gezielt zu optimieren. Anders als herkömmliche Evaluationsmethoden ermöglichen Learning Analytics eine kontinuierliche, datenbasierte Begleitung des Lernens – individuell, adaptiv und in Echtzeit.

Monika Berezowski

In Unternehmen eröffnen sich dadurch enorme Potenziale: Lernangebote können personalisiert, Wissenslücken frühzeitig erkannt und der Transfer in die Praxis wirksam unterstützt werden. Erste Studien und Praxisberichte (u. a. Siemens & Long, 2011; Slade & Prinsloo, 2013; Deloitte, 2020) zeigen bereits, dass datengetriebene Lernprozesse nicht nur effizienter, sondern auch nachhaltiger sind.

Gleichzeitig stellen sich neue ethische und rechtliche Fragen: Wie viel Kontrolle behalten Lernende über ihre Daten? Wie transparent sind die Algorithmen, die Empfehlungen geben oder Risiko-Profile erstellen? Und wie lässt sich sicherstellen, dass Learning Analytics nicht zur Überwachung, sondern wirklich zur Förderung genutzt werden?

In diesem Artikel beleuchten wir,

  • was Learning Analytics ausmacht,
  • wie sie in der Praxis sinnvoll eingesetzt werden können und
  • welche Voraussetzungen es braucht, damit sie einen echten Mehrwert schaffen – ohne ethische Grenzen zu überschreiten.

Was ist Learning Analytics?

Stellen wir uns vor: Zwei Mitarbeitende absolvieren dasselbe e-Learning-Modul. Die erste Person klickt sich in 15 Minuten durch, besteht das Abschlusstestquiz auf Anhieb und verlässt die Plattform. Die zweite Person verbringt 45 Minuten im Kurs, sieht sich einige Abschnitte mehrfach an, überspringt aber einen wichtigen interaktiven Teil. Am Ende besteht sie das Quiz nur knapp.

Beide haben formal das Gleiche gelernt – aber haben sie auch wirklich das Gleiche verstanden? Lernen sie auf dieselbe Weise? Wo genau liegen ihre Stärken und Schwächen?

Learning Analytics hilft, genau diese Fragen zu beantworten. Der Begriff beschreibt den systematischen Einsatz von Datenanalysen, um Lernprozesse besser zu verstehen und gezielt zu verbessern. Es geht darum, aus digitalen „Spuren“ – also etwa Klickverhalten, Verweildauer, Testverläufen oder Interaktionen – Aussagen über individuelle Lernverläufe und Gruppenmuster abzuleiten.

Die meistzitierte Definition stammt von George Siemens und Dragan Gasevic (2012):

„Learning Analytics is the measurement, collection, analysis and reporting of data about learners and their contexts, for purposes of understanding and optimizing learning and the environments in which it occurs.“

Learning Analytics, Educational Data Mining & Co. – Was ist der Unterschied?

Learning Analytics ist eng verwandt mit Begriffen wie Educational Data Mining (EDM) oder Academic Analytics. Während EDM stärker auf den algorithmischen Teil fokussiert ist – also zum Beispiel maschinelles Lernen zur Mustererkennung – verfolgt Learning Analytics meist einen anwendungsbezogenen und didaktischen Fokus. Ziel ist es, mit den Ergebnissen konkrete Entscheidungen im Lernprozess zu unterstützen.

In Organisationen bedeutet das beispielsweise:

  • Lernende erhalten individuelle Empfehlungen, was sie als Nächstes lernen sollten.
  • Trainer oder HR-Teams sehen in Dashboards, wo Unterstützungsbedarf besteht.
  • Führungskräfte erkennen, ob Lernziele mit Geschäftszielen zusammenpassen.

Learning Analytics ist damit nicht nur ein technisches Werkzeug – sondern ein strategisches Element für zielgerichtete Personalentwicklung, das Lernen besser mit Unternehmenszielen verzahnt.

Welche Daten werden analysiert und wie?

Learning Analytics basiert auf der Auswertung sogenannter Lerndaten (learning traces) – also digitale Spuren, die Lernende während eines Lernprozesses auf einer Plattform hinterlassen. Dabei geht es nicht um vereinzelte Klicks, sondern um Muster, Zusammenhänge und Entwicklungen, die über die Zeit beobachtet werden können (Greller & Drachsler, 2012).

Je nach System, Ziel und Anwendungsbereich lassen sich diese Daten in verschiedene Kategorien einteilen (Ifenthaler & Yau, 2020):

  1. Verhaltensdaten

Hierzu zählen Klickpfade, Verweildauer auf Seiten, Scrollverhalten, Videowiedergaben, Teilnahme an Quizzes oder Forenaktivitäten. Sie geben Aufschluss darüber, wie intensiv und mit welchen Inhalten Lernende interagieren.

Beispiel: Eine Lernplattform erkennt, dass viele Nutzende bei einem bestimmten Video stoppen oder zurückspringen – ein Hinweis auf schwierigen Stoff oder schlechte Didaktik.

  1. Leistungsdaten

Dazu gehören Testergebnisse, Fortschrittsanzeigen, Wiederholungsversuche oder Fehlerraten. Diese Daten zeigen, was gelernt wurde und wo noch Unsicherheiten bestehen.

Beispiel: Eine Nutzerin besteht einen Test erst nach dem dritten Versuch – ein automatisiertes Feedbacksystem kann daraufhin gezielte Übungen empfehlen.

  1. Soziale Interaktionen

Forenbeiträge, Kommentare, Teamarbeiten oder Kollaborationen in Lernumgebungen zeigen, wie stark jemand am sozialen Lernprozess beteiligt ist.

Beispiel: In sozialen Lern-Settings können besonders aktive Beiträge identifiziert und hervorgehoben werden – als Lerntreiber für andere.

Wie werden diese Daten verarbeitet?

Die Verarbeitung erfolgt meist automatisiert über Learning-Management-Systeme (LMS) oder spezielle Analyseplattformen. Dabei kommen sowohl einfache statistische Verfahren (z. B. Mittelwerte, Korrelationen) als auch komplexere Algorithmen zum Einsatz – bis hin zu prädiktiven Modellen oder KI-basierten Empfehlungssystemen (Greller & Drachsler, 2012).

Wichtig ist: Nicht jede Plattform nutzt automatisch Learning Analytics. Erst wenn Daten gezielt erhoben, systematisch ausgewertet und in den Lernprozess zurückgespiegelt werden, spricht man wirklich von Learning Analytics.

Daten ≠ Erkenntnisse

Nicht jede Datenspur ist aussagekräftig. Ein häufiger Fehler in der Praxis: Daten zu sammeln „weil man es kann“, ohne klaren Erkenntnisgewinn. Entscheidend ist immer, welche Frage beantwortet werden soll und ob die vorhandenen Daten dafür geeignet sind (Ifenthaler & Yau, 2020).

Chancen und Grenzen von Learning Analytics in Unternehmen

In der betrieblichen Weiterbildung geht es längst nicht mehr nur um die Bereitstellung von Inhalten, sondern um die gezielte Entwicklung von Kompetenzen, die den Unternehmenserfolg unterstützen. Genau hier bietet Learning Analytics enormes Potenzial.

Die Chancen

  1. Personalisierung von Lernpfaden

Learning Analytics ermöglicht es, Inhalte auf die individuellen Bedürfnisse von Mitarbeitenden zuzuschneiden. Anhand von Leistungsdaten, Interessen oder Lernverhalten können automatisiert passende Module vorgeschlagen werden – ein zentraler Hebel für Motivation und nachhaltigen Kompetenzaufbau (Ifenthaler & Yau, 2020).

  1. Frühzeitige Unterstützung und Prävention

Durch sogenannte Early Warning Systems erkennen Unternehmen, wenn Lernende Schwierigkeiten haben oder Gefahr laufen, ein Programm abzubrechen. So kann rechtzeitig reagiert und Unterstützungsangebote gezielt platziert werden (Papamitsiou & Economides, 2014).

  1. Wirkungsmessung von Lernmaßnahmen

Learning Analytics macht sichtbar, ob Lerninhalte tatsächlich zur Kompetenzentwicklung beitragen – etwa durch Vorher-Nachher-Vergleiche, Transfermessungen oder die Analyse von Performance-Daten im Arbeitsalltag. So lassen sich Weiterbildungen strategischer planen und evaluieren (Greller & Drachsler, 2012).

  1. Strategische Steuerung

Nicht zuletzt liefert Learning Analytics auch auf Management-Ebene wertvolle Erkenntnisse: Welche Themen sind im Unternehmen besonders gefragt? Wo gibt es Kompetenzlücken? Wie verhalten sich verschiedene Zielgruppen? Die Daten bilden damit eine belastbare Grundlage für Entscheidungen in HR, Talent Management oder Change-Prozessen (Ifenthaler & Yau, 2020).

Die Grenzen und Herausforderungen

  1. Datenqualität und Systemgrenzen

Nicht alle Systeme erfassen Daten im gleichen Detailgrad. Häufig sind die Daten unvollständig, nicht standardisiert oder schwer vergleichbar. Das schränkt die Aussagekraft der Analysen erheblich ein (Greller & Drachsler, 2012).

  1. Interpretation und Kontext

Daten sagen nicht alles. Verweildauer allein ist kein Beweis für tiefes Verständnis. Ohne didaktisches Fachwissen oder Kontextwissen können Ergebnisse leicht falsch interpretiert werden – mit negativen Folgen für Lernende (Sclater, 2017).

  1. Datenschutz und Ethik

Die Analyse personenbezogener Lerndaten wirft grundlegende ethische Fragen auf – besonders im Unternehmenskontext. Mitarbeitende müssen darauf vertrauen können, dass ihre Daten nicht zur Kontrolle oder Bewertung missbraucht werden (Prinsloo & Slade, 2017). Darauf gehen wir im nächsten Abschnitt noch detaillierter ein.

Zwischen Analyse und Vertrauen – Ein Blick auf Ethik und Datenschutz

So viel Potenzial Learning Analytics für die betriebliche Weiterbildung bietet – der Einsatz steht und fällt mit dem verantwortungsvollen Umgang mit personenbezogenen Daten. Denn hinter jeder Zahl steht ein Mensch, dessen Lernverhalten, Fortschritt und potenzielle Schwächen sichtbar gemacht werden.

Transparenz ist Pflicht, nicht Kür

Ein zentrales ethisches Prinzip ist Transparenz: Lernende müssen verstehen, welche Daten gesammelt werden, zu welchem Zweck diese verwendet werden und wer Zugriff darauf hat (Prinsloo & Slade, 2017). Dabei geht es nicht nur um rechtliche Anforderungen wie die DSGVO, sondern um den Aufbau von Vertrauen.

Eine häufige Empfehlung lautet, Learning Analytics nicht „heimlich“ im Hintergrund laufen zu lassen, sondern sie als partizipativen Prozess zu gestalten – mit verständlichen Erklärungen, klaren Opt-in-Optionen und aktiver Einbindung der Nutzenden (Slade & Prinsloo, 2013).

Freiwilligkeit statt Überwachung

Die Grenze zwischen unterstützender Analyse und Kontrolle ist fließend – besonders in Unternehmen. Wenn Lernende den Eindruck gewinnen, dass ihre Daten zur Bewertung durch Vorgesetzte oder HR genutzt werden, entsteht ein Klima der Unsicherheit. Learning Analytics darf nicht zum Überwachungsinstrument werden, sondern sollte immer der Förderung individueller Entwicklung dienen (Greller & Drachsler, 2012).

Ethische Rahmenwerke und Leitlinien

Zahlreiche Organisationen und Institutionen arbeiten inzwischen an Leitlinien für ethisches Learning Analytics, etwa die Society for Learning Analytics Research (SoLAR), JISC (UK) oder das Hochschulforum Digitalisierung (DE). Häufig genannte Prinzipien sind (Sclater, 2017; Slade & Prinsloo, 2013):

  • Datensparsamkeit und Zweckbindung
  • Klare Zustimmung (informed consent)
  • Recht auf Widerspruch oder Datenlöschung
  • Erklärung und Nachvollziehbarkeit automatisierter Entscheidungen
  • Beteiligung aller Stakeholder bei der Einführung neuer Analysemodelle

Unternehmen, die Learning Analytics einführen, sollten diese Prinzipien nicht nur rechtlich, sondern auch ethisch verankern – und so den Weg frei machen für eine Kultur des Lernens, nicht der Bewertung.

Fazit: Ethik als Erfolgsfaktor

Wer Learning Analytics erfolgreich einsetzen möchte, sollte nicht bei den technischen Möglichkeiten stehen bleiben. Erst wenn Lernende sich sicher fühlen, verstanden werden und ihre Daten als Teil eines sinnvollen Lernprozesses erleben, kann das volle Potenzial gehoben werden. Ethik ist dabei kein Hindernis – sondern die Grundlage für nachhaltigen Lernerfolg.

Literatur

Greller, W., & Drachsler, H. (2012). Translating learning into numbers: A generic framework for learning analytics. Educational Technology & Society, 15(3), S. 42-57.

Ifenthaler, D., & Yau, J. Y.-K. (2020). Utilising learning analytics to support study success in higher education: A systematic review. Educational Technology Research and Development, 68(4), S. 1961-1990.

Papamitsiou, Z., & Economides, A. A. (2014). Learning analytics and educational data mining in practice: A systematic literature review of empirical evidence. Educational Technology & Society, 17(4), S. 49-64.

Prinsloo, P., & Slade, S. (2017). Ethics and learning analytics: Charting the (un)charted. In C. Lang, G. Siemens, A. Wise, & D. Gašević (Eds.), Handbook of Learning Analytics (pp. 49–57). Society for Learning Analytics Research (SoLAR).

Sclater, N. (2017). Learning analytics explained. Routledge.

Slade, S., & Prinsloo, P. (2013). Learning analytics: Ethical issues and dilemmas. American Behavioral Scientist, 57(10), S. 1510-1529.

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