Selbstverantwortung in der betrieblichen Weiterbildung – eine Führungsaufgabe?

– Tiba Magazin 2023 –

In der heutigen Arbeitswelt ist Weiterbildung ein entscheidender Aspekt der persönlichen und beruflichen Entwicklung geworden. Auch der Unternehmenserfolg hängt heutzutage von der strategischen Personalentwicklung ab. Mitarbeitende, die ihre Lernreise in die eigenen Hände nehmen, Eigenverantwortung zeigen und intrinsische Motivation an den Tag legen, werden in unserem dynamischen beruflichen Umfeld mit größerer Wahrscheinlichkeit erfolgreich sein und ihre Ziele erreichen. In diesem Artikel wird die Bedeutung der Selbstverantwortung beim Lernen untersucht und geprüft, wie Führungsstile die Bereitschaft Einzelner beeinflussen, Verantwortung für ihre Weiterentwicklung zu übernehmen.

Welchen Einfluss spielt Selbstverantwortung im beruflichen Weiterbildungskontext?

Selbstverantwortung bezieht sich auf die Fähigkeit und Bereitschaft Einzelner, Verantwortung für ihr eigenes Lernen und ihre Entwicklung zu übernehmen. Sie ist in der (https://www.tiba.de/magazin/der-weg-zur-nachhaltigen-lernkultur/) verwurzelt, die intrinsische Motivation, Autonomie und die Erfüllung psychologischer Bedürfnisse als Grundpfeiler definiert. In einer modernen Lernkultur spielt die Selbstverantwortung eine zentrale Rolle für den Lernerfolg (Deci & Ryan, 1993).

Wenn Lernende Selbstverantwortung übernehmen, werden sie zu aktiven Gestaltern ihres eigenen Lernprozesses. Sie setzen sich Ziele, treffen Entscheidungen und üben sich in Selbstreflexion, was ihr Gefühl von Eigenverantwortung und Engagement stärkt. Darüber hinaus zeigen selbstverantwortlich Lernende ein höheres Maß an Motivation, sie schöpfen Befriedigung aus ihren Leistungen und sind stolz auf ihre Fortschritte. Im Gegensatz dazu zeigt unsere Erfahrung, dass vorgeschriebene Weiterbildungsmaßnahmen häufig einen gegenteiligen Effekt haben und negativ konnotiert sind. Der Sinn hinter der verordneten Maßnahme wird den Lernenden häufig nicht vermittelt und somit nicht als Mehrwert in der persönlichen Entwicklung und der Kompetenzerweiterung wahrgenommen.

Wie wirkt sich der gelebte Führungsstil auf die Selbstverantwortung aus?

Der Führungsstil hat einen erheblichen Einfluss auf die Neigung Einzelner zur Selbstverantwortung beim Lernen. Ein autoritärer Führungsstil, der sich auf Befehle und Direktiven stützt, kann die Entwicklung von Selbstverantwortung behindern. Solche Führungsansätze schränken die Autonomie der Mitarbeitenden ein und unterdrücken intrinsische Motivation, was letztlich den Lernprozess behindert.

Reflektierte Führungskräfte hingegen pflegen einen Führungsstil, der sich auf die Bedürfnisse der Mitarbeitenden einlässt und Selbstverantwortung fördert. Sie schaffen eine Atmosphäre des Vertrauens und der psychologischen Sicherheit, die es Mitarbeitenden ermöglicht, neue Ideen zu entwickeln, Herausforderungen zu suchen und diese anzunehmen.

Der Schlüssel zum Erfolg ist die Förderung einer Kultur des unabhängigen Denkens und des selbstgesteuerten Lernens.

Förderung durch Empowerment von Mitarbeitenden

Empowerment ist ein wirkungsvolles Instrument, das Führungskräfte einsetzen können, um Selbstverantwortung ihrer Teammitglieder zu fördern. Indem sie die Bemühungen und Leistungen Einzelner anerkennen, können Führungskräfte ein Gefühl des Vertrauens und der Motivation schaffen. Durch Empowerment wird die Überzeugung gestärkt, dass Lernen und persönliche Entwicklung wertvoll sind und dass jede Einzelne Fähigkeiten hat, die zum Erfolg des gesamten Teams beitragen.

Empowerment allein ist jedoch nicht ausreichend. Führungskräfte sollten aktiv am Lern- und Entwicklungsprozess ihrer Mitarbeitenden partizipieren und beratend als Sparringspartner und Coach zur Seite stehen. Dadurch können sie einschätzen, wo ihre Mitarbeitenden stehen und im Bedarfsfall steuernd eingreifen und aktiv Feedback geben. Denn auch beim selbstgesteuerten Lernen ist die Balance zwischen individuellen und unternehmerischen Interessen beim Wissens- und Kompetenzaufbau zu beachten (World Economic Forum, 2023). Durch konstruktives Feedback werden Mitarbeitende auf ihrem Weg begleitet und darin bestärkt, ihren Anteil zum Gesamterfolg des Teams oder Unternehmens beizutragen. Diese Bestätigung fördert die intrinsische Motivation, da Mitarbeitende inspiriert werden, neue Herausforderungen anzunehmen. Darüber hinaus dienen Feedback und Empowerment als Katalysator jedes Mitarbeitenden zur Setzung höherer Ziele und dem kontinuierlichen Streben nach persönlicher Weiterentwicklung.

Unterstützung der Eigenverantwortung durch gezielte Führung

Während Empowerment die Eigenverantwortung fördert, ist die Form der Führung ebenso wichtig. Reflektierte Führungskräfte wissen, wie wichtig es ist, Orientierung und Unterstützung zu geben, ohne diktierend zu sein. Sie fungieren als Mentoren, bieten Fachwissen an und stellen Ressourcen zur Verfügung, um Lernen und Entwicklung zu fördern. Eigenverantwortung bedeutet nicht, auf sich alleingestellt zu sein, sondern im aktiven Dialog mit der Führungskraft zur arbeiten. Führungsqualität ist daher auch eine gefragte strategische Ressource für Unternehmen um der beschriebenen Herausforderung gerecht zu werden (World Economic Forum, 2023).

Die Führungskräfte sollten auf die individuellen Bedürfnisse eingehen und unterschiedliche Lerntypen berücksichtigen. Durch die Bereitstellung der notwendigen Werkzeuge, Ressourcen und Wachstumsmöglichkeiten befähigen Führungskräfte Mitarbeitende, ihre Lernreise selbständig zu gestalten. Dieser Ansatz vermittelt ein Gefühl der Selbstständigkeit und Eigenverantwortung, da Mitarbeitende Fähigkeiten und Vertrauen entwickeln, ihren eigenen Weg zu gehen.

Im besten Fall haben Führungskräfte wie Mitarbeiter:innen eine starke, gut strukturierte Personalentwicklungsabteilung in der Hinterhand, die ihnen mit Rat und Tat zur Seite steht. Eine gute Personalentwicklungsabteilung unterstützt Lernende und die Organisation bei der Sicherstellung der Qualität und Einheitlichkeit der zur Verfügung stehenden Lerninhalte. Denn in Zeiten der schier grenzenlosen Menge an Informationen ist eine Kuration vorhandener Lerninhalte und die Festlegung eines inhaltlichen Rahmens innerhalb der Organisation von essenzieller Bedeutung, um Lernende nicht im Dickicht der Informationsflut allein zu lassen und dafür zu sorgen, dass eine gemeinsame Sprache in Bezug auf Fachinhalte gesprochen wird.

Die Beziehung zwischen Führungsstil und Selbstverantwortung

Die Beziehung zwischen Führungsstil und Selbstverantwortung ist symbiotisch. Reflektierte Führungskräfte, die die Selbstverantwortung ihrer Teammitglieder fördern, profitieren von höherem Engagement, Produktivität und Innovation. Indem sie Mitarbeitende befähigen, ihre persönliche Entwicklung selbst mitzugestalten, schaffen Führungskräfte eine (Lern-) Kultur der kontinuierlichen Verbesserung und erhöhen die Motivation.

Andererseits beeinflussen selbstverantwortliche Mitarbeitende den Führungsstil. Wenn der Mitarbeitende Eigenverantwortung zeigt, fühlen sich die Führungskräfte in ihrem Weg oftmals bestätigt, da das grundsätzliche Engagement und Potenzial ihrer Teammitglieder gesteigert werden. Diese Interaktion fördert eine kollaborative, wechselseitige Dynamik, bei der Führungskräfte und Mitarbeitende sich gegenseitig in ihrem Wachstum und persönlichen Entwicklung bestärken.

Risiken der Selbstbestimmung im Kontext der betrieblichen Weiterbildung

Obwohl die Eigenverantwortung beim Lernen und bei der Entwicklung im Allgemeinen als vorteilhaft angesehen wird, gibt es auch hier Risiken und Herausforderungen zu meistern. Zu den Risiken der Eigenverantwortung beim Lernen gehören:

  • Das Fehlen von Struktur: Ohne passende Struktur können Mitarbeitende Schwierigkeiten in der eigenverantwortlichen Weiterentwicklung bekommen. Personalentwicklungsabteilungen können, wie oben beschrieben, Rahmenbedingungen kreieren, welche den Mitarbeitenden als Orientierung und klarer Entwicklungsplan dient. Ein klarer Lern- und Entwicklungsplan hilft, Orientierung zu schaffen und gesetzte Ziele zu erreichen.
  • Eingeschränkte Verantwortlichkeit: Wenn jeder Mitarbeitende die alleinige Verantwortung für sein Lernen übernimmt, besteht die Gefahr eines Motivationsverlusts. Ohne externe Verantwortungsmechanismen wie Fristen oder Bewertungen steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Lerneinheiten aufgeschoben und selbst gesteckte Ziele nicht erreicht werden. Es erfordert Selbstdisziplin und Selbstmotivation, um ohne äußeren Druck an den Lernzielen festzuhalten. Als Lösung können extrinsisch gesetzte Anreize fungieren, die ein Verantwortungsgefühl und Motivation erzeugen. Beispielweise können für absolvierte Lerneinheiten Spenden für einen guten Zweck gesammelt werden. Auch intern kommunizierte “Best Learner Awards” können als Anreiz dienen, die Lernziele weiter zu verfolgen.
  • Potenzielle Wissenslücken: Selbstverantwortliches Lernen bedeutet, dass jeder dafür verantwortlich ist, eigene Wissenslücken zu erkennen und zu schließen. Ohne angemessene Betreuung sind sich Mitarbeitende jedoch möglicherweise ihrer Wissenslücken nicht bewusst oder haben Schwierigkeiten, zuverlässige Informationsquellen zu finden, um diese zu schließen. Dies kann dazu führen, dass das individuelle Potenzial nicht vollständig ausgeschöpft wird und nicht das erlernt wird, was der Person zu dem Zeitpunkt tatsächlich am meisten helfen würde.
  • Unzureichende Unterstützungssysteme: Selbstverantwortlich Lernende können vor Herausforderungen stehen, wenn sie kein Unterstützungssystem oder keine Lerngemeinschaft haben, auf die sie sich verlassen können. Lernende profitieren häufig von Zusammenarbeit, Feedback und Mentoring. Ohne Zugang zu solchen Unterstützungssystemen kann es für einzelne Personen schwierig sein, Hindernisse zu überwinden, Klarheit zu erlangen oder neue Perspektiven zu gewinnen, was ihre Entwicklung einschränken kann.
  • Übermäßiges Vertrauen in die intrinsische Motivation: Die intrinsische Motivation ist zwar eine wichtige Triebkraft für eigenverantwortliches Lernen, kann aber im Laufe der Zeit schwanken. Es kann vorkommen, dass die Motivation des Einzelnen nachlässt oder dass er auf Themen stößt, die für ihn weniger interessant sind. Ohne externe Faktoren wie Fristen oder Belohnungen kann es für den Einzelnen schwierig sein, die Motivation in diesen Phasen aufrechtzuerhalten.

So begegnen Sie den Risiken proaktiv

Um die mit der Eigenverantwortung beim Lernen verbundenen Risiken zu bewältigen, können verschiedene Strategien eingesetzt werden:

  • Angemessene Unterstützung und Bereitstellung von Ressourcen: Führungskräfte und Bildungseinrichtungen können Beratung, Lernmaterialien und Ressourcen anbieten, um jede:n bei der Entwicklung effektiver Fähigkeiten zum selbstgesteuerten Lernen zu unterstützen. Diese Unterstützung kann die Bereitstellung von Lernrahmen, empfohlener Lektüre oder den Zugang zu Mentor:innen umfassen, die Anleitung und Feedback geben können. Darüber hinaus können im Rahmen von Initiativen, wie der Förderung lebenslangen Lernens, in regelmäßigen Abständen „Lerntage“ in Unternehmen eingeführt werden, an denen sich die Mitarbeitenden ausschließlich ihrer Weiterentwicklung widmen und keine anderen Termine wahrnehmen sollen.
  • Förderung der Zusammenarbeit und des Lernens: Die Förderung der Zusammenarbeit und die Bildung von Lerngemeinschaften können eigenverantwortlichen Lernenden helfen, Wissenslücken zu schließen und ihr Verständnis zu verbessern. Peer-to-Peer-Interaktion, Gruppendiskussionen und Lernzirkel können Gelegenheiten bieten, Ideen auszutauschen, Feedback einzuholen und verschiedene Perspektiven zu erkunden. Mehr zum Thema kollaboratives Lernen anhand der Methode „Learning out Loud“ (LOL) erfahren Sie hier.
  • Setzen Sie Meilensteine und Kontrollpunkte: Regelmäßige Meilensteine oder Kontrollpunkte helfen Verantwortung zu übernehmen und Fortschritte zu verfolgen. Diese können selbst oder in Zusammenarbeit mit Mentor:innen oder Kolleg:innen festgelegt werden, um sicherzustellen, dass der die Lernenden auf dem richtigen Weg bleiben und Gelegenheit zur Reflexion und Anpassung ihrer Lernziele haben.
  • Ermutigung zur Selbstreflexion und Evaluierung: Selbstverantwortlich Lernende sollten dazu ermutigt werden, über ihren Lernprozess zu reflektieren, ihre Stärken und Schwächen zu bewerten und Verbesserungsmöglichkeiten zu erkennen. Diese Selbstreflexion ermöglicht es, Lernstrategien anzupassen, bei Bedarf zusätzliche Unterstützung in Anspruch zu nehmen und fundierte Entscheidungen über individuelle Lernwege zu treffen.
  • Lernkultur: Führungskräfte und Organisationen sollten eine Kultur fördern, die kontinuierliches Lernen schätzt und unterstützt. Dies kann durch die Bereitstellung von Möglichkeiten zur beruflichen Weiterentwicklung, die Anerkennung und Würdigung von Lernerfolgen und die Förderung einer Wachstumsmentalität geschehen, die den Einzelnen dazu ermutigt, sich Herausforderungen zu stellen und nach neuem Wissen zu suchen. Anerkennung kann beispielsweise über die Integration spielerscher Elemente im organisationalen Lernrahmen geschaffen werden

Fazit

In der modernen Lernkultur kann Selbstverantwortung ein wesentliches Element sein, um die Lern- und Entwicklungsbemühungen erfolgreich zu gestalten. Führungskräfte spielen eine entscheidende Rolle bei der Förderung der Selbstverantwortung, indem sie einen Führungsstil anwenden, der Lernende ermutigt und begleitet. Durch die Förderung der Selbstverantwortung schaffen Führungskräfte ein Umfeld, in dem der Lernende Verantwortung für ihre Lernreise übernehmen, was die intrinsische Motivation und Autonomie fördert. Letztlich kommt eine Kultur der Selbstverantwortung nicht nur einzelnen Mitarbeitenden zugute, sondern verhilft auch Organisationen zu mehr Erfolg und Innovation. Obwohl selbstbestimmtes Lernen zahlreiche Anreize und Vorteile bietet, müssen auch damit verbundene Risiken berücksichtigt werden. Nur durch die Bereitstellung geeigneter Unterstützung, Ressourcen und Beratung können Lernende ihre Lernreise effektiv gestalten, potenzielle Fallstricke minimieren und die Vorteile des eigenverantwortlichen Lernens maximieren. In innovativen, zukunftsgewandten Organisationen ist die Entwicklung einer aufgeschlossen, den Interessen ihrer Mitarbeitenden dienende Lernkultur somit von entscheidender strategischer Bedeutung. Auf der einen Seite, weil Mitarbeitende, die nach Weiterentwicklung streben, den Erfolg des Unternehmens bedingen. Auf der anderen Seite, weil selbstbestimmte Mitarbeitende zufriedener sind und weniger Anreize haben, nach Herausforderungen in anderen Unternehmen zu suchen. Eine positive Lernkultur hat somit einen selbstverstärkenden Effekt und ist ein wichtiger Baustein für Unternehmenserfolg.

 

Cover des Tiba Magazin 2023

Zum Download

Autor

Foto von Paul Andritzky

Paul Andritzky

Paul Andritzky ist seit 2012 bei der Tiba Managementberatung GmbH tätig. Als Leiter des Center of Competence Digital Training hat er sich auf die Blended Learning Beratung und Umsetzung digitaler Lernformate spezialisiert und unterstützt unsere Kunden in der Umsetzung großer Trainingscurricula als auch bei der Konzeption und Erstellung von Web Based & Video Trainings. Darüber hinaus verschreibt er sich der studierte Ressourcenmanager (MSc) der strategischen Weiterentwicklung lernkultureller Themen und virtueller Zusammenarbeit.

Literatur

  • Deci, E. L. & Ryan, R. M. (1993). Die Selbstbestimmungstheorie der Motivation und ihre Bedeutung für die Pädagogik. In: Zeitschrift für Pädagogik, 39(2), 223-238 
  • World Economic Forum (2023). Future of Jobs Report 2023. https://www3.weforum.org/docs/WEF_Future_of_Jobs_2023.pdf [abgerufen am 21.06.2023].