Weshalb emotionale Kompetenzen im Projektmanagement so wichtig sind

Gefühle und Emotionen gehören zum Menschen wie die Luft zum Atmen. Im Job stehen sie uns manchmal im Weg und erschweren die Zusammenarbeit. Jeder Projektmanager kennt Situationen, in denen (negative) Emotionen einen Projekterfolg zu gefährden drohen. Vivian Dittmar, Autorin und Referentin, hat den sogenannten Gefühlskompass entwickelt und erklärt im Interview, weshalb eine gesunde emotionale Steuerung von Emotionen im Job so wichtig ist.

Professionelles Projektmanagement ist ein zentraler Baustein für den Unternehmenserfolg. Wie wichtig sind die emotionalen Kompetenzen?

Vivian Dittmar: Emotionale Kompetenz spielt überall dort eine besonders große Rolle, wo es um Kooperation geht, was in Projektteams ja der Fall ist. Wann immer Menschen gefordert sind, unterschiedliche Kompetenzen und damit auch Sichtweisen zusammenzufügen, kommen früher oder später Gefühle und oft auch Emotionen ins Spiel. Emotionale Kompetenz ist letztlich die Fähigkeit, mit Spannungen umzugehen. Spannungen sind per se weder gut noch schlecht. Wie wir mit diesen umgehen, bestimmt, ob sie als kreatives Potenzial genutzt werden oder zu einer Blockade in der Zusammenarbeit führen. Gelingt ersteres, wird kollektive Intelligenz im Team möglich; geschieht zweiteres, ist die Gruppenintelligenz niedriger als die jedes einzelnen Teammitglieds – eine traurige Bilanz.

Was ist eigentlich der Unterschied zwischen Gefühl und Emotion? Meist werden die Begriffe synonym verwendet.

Dittmar: Es gibt hier keine einheitliche Definition. Fast jeder Autor und Forscher verwendet seine eigenen Begriffe. In meiner Definition ist ein Gefühl eine Empfindung, die aus dem Moment heraus durch eine Interpretation entsteht. Also ich sehe oder höre etwas, interpretiere das als richtig, falsch, schade oder furchtbar, wodurch ein Gefühl dazu entsteht. Wenn Wahrnehmung und Interpretation zur Situation passen, entsteht ein Gefühl, dass mir tatsächlich in der Situation weiterhilft – ich spreche hier auch gerne von einer Gefühlskraft.

Anders verhält es sich bei Emotionen, so wie ich den Begriff verwende. Hierbei handelt es sich um emotionale Altlasten, also nicht gefühlte Gefühle aus der Vergangenheit, die aus irgendwelchen Gründen in die Gegenwart hineinspielen – meist ohne, dass wir uns dieser Tatsache bewusst sind. Im Gegensatz zu Gefühlen geschieht dies nicht durch eine Interpretation, sondern ganz unmittelbar als Reaktion auf eine Wahrnehmung. Also ich höre etwas und werde von starken Reaktionen überflutet, bevor ich darüber nachgedacht habe, wie ich das finde. Die Empfindungen, die hier ausgelöst werden, sind oft sehr stark und im Gegensatz zu den reinen Gefühlen alles andere als praktisch. Das sind die Momente, wo unsere emotionale Steuerung versagt und wir Dinge sagen oder tun, die wir später bereuen.

Um zu unterstreichen, wie Emotionen auch den Berufsalltag bestimmen, haben Sie den Gefühlskompass entwickelt. Können Sie uns erklären, worum es sich dabei handelt?

Dittmar: Der Gefühlskompass ist ein innerer Navigator, der uns in den Stürmen des Lebens Halt und Orientierung bietet. In ihm sind statt der vier Himmelsrichtungen vier Grundgefühle angeordnet — Wut, Trauer, Angst und Freude. In der Mitte des Kompasses, wo die Nadel festgeschraubt wäre, befindet sich das fünfte Gefühl, die Scham. Sie unterscheidet sich von den vier äußeren Gefühlen darin, dass sie sich nach innen richtet, also auf uns selbst. Bei diesen fünf Grundgefühlen handelt es sich nicht um eine willkürliche Auswahl. Vielmehr befähigen uns diese Gefühle in ihrer gesunden Form, mit allen Situationen im Leben angemessen umzugehen. Wut befähigt uns dazu, klare Entscheidungen zu treffen und zu handeln – also das zu ändern, was wir ändern können. Durch Trauer können wir Situationen annehmen, die wir uns anders gewünscht hätten – also das anzunehmen, was wir nicht ändern können. Angst ermöglicht es uns, dem Unbekannten und Ungewissen zu begegnen – also uns auf das einzulassen, was wir weder annehmen noch verändern können. Und Freude ist dazu da, das zu feiern, was unseren Bedürfnissen entspricht. Das fünfte Gefühl, die Scham, brauchen wir, um uns selbst zu reflektieren und auch mal in Frage zu stellen.

Im Berufsalltag scheinen vielen Emotionen eher fehl am Platz. Kann und sollte man Emotionen bis zu einem gewissen Grad nicht besser steuern?

Dittmar: Emotionale Steuerung ist in allen Lebensbereichen wichtig, das gilt im Job nicht mehr als in der Kindererziehung und sie ist ein wichtiger Aspekt emotionaler Kompetenz. Leider wird emotionale Steuerung oft mit der Fähigkeit, Emotionen gut wegzupacken, verwechselt. Das ist in meinen Augen eher ein Zeichen emotionaler Inkompetenz.

Eine gesunde emotionale Steuerung befähigt mich, Gefühle und Emotionen zuzulassen und mit ihnen so umzugehen, dass sie zu konstruktiven Kräften in meinen Beziehungen werden. Das gilt im Job genauso wie privat. Und tatsächlich gelingt genau das ja auch häufig – Menschen haben ständig Gefühle und haben oft mit Emotionen umzugehen. So lange das gut funktioniert, fällt es gar nicht auf. Oft merken wir erst wenn die Steuerung versagt, wie stark die Emotionen sind, die hier im Spiel sind.

Stimmen Emotionen beziehungsweise Gefühle, funktioniert in der Regel ein reibungsloses Miteinander. Im Projektmanagement haben wir es meist mit lateraler Führung zu tun, eine disziplinarische Zuordnung gibt es nicht und die Mitarbeiter im Projekt kennen sich nicht sehr gut. Wie kann unter diesen Umständen schnell eine gute Beziehungsebene aufgebaut werden?

Dittmar: Es gibt hierfür keine Pauschalrezepte, denn diese Art von Teams gleichen bestenfalls lebendigen Systemen, deren zentrales Merkmal ja die Vielfalt ist. Wichtig ist eine klare Ausrichtung auf einen gemeinsamen Auftrag, dem sich jedes Teammitglied verbunden fühlt. Außerdem eine klare Rollenklärung, auch was Führungsaufgaben betrifft. Da diese Konstellationen eine völlig andere Form von Führung benötigen, fehlt es oft an den nötigen Kompetenzen, um diese auch zu liefern. Führung ist in solchen Systemen eher als Funktion zu begreifen und ist nicht an Positionen gebunden. Idealerweise findet sich ein hohes Maß an Selbstführung, das durch die Aufteilung von Führungsfunktionen gefördert wird. Dieses Aufteilen geschieht oft zu einem gewissen Grad von selbst, indem sich Steuerungsaufgaben organisch nach Kompetenz im Team verteilen. Dieses Phänomen wird oft mit einer Abwesenheit von Führung verwechselt, da wir es gewöhnt sind, Führung als etwas Zentralistisches zu sehen. Indem wir lernen, Führung mit anderen Augen zu sehen und diese Aufteilung bewusst zu fördern, erleichtern wir die Entwicklung von Reife und Selbstführung. Je mehr Mitarbeiter diese Eigenschaften entwickeln, desto schneller gelingt es, auch in neuen Konstellationen ganz selbstverständlich eine gute Beziehungsebene aufzubauen.

Vivian Dittmar ist Autorin des Bestsellers „Gefühle & Emotionen, eine Gebrauchsanweisung“ und anderer Titel. Auch als Referentin ist sie gefragt, wenn es um emotionale Kompetenz geht. Das von ihr entwickelte Modell des Gefühlskompasses wird von einer wachsenden Anzahl von Trainern, Beratern, Psychologen, Pädagogen und Coaches eingesetzt. Im Herbst erscheint ihr neues Buch „Gefühle@work – Wie emotionale Kompetenz Unternehmen transformieren kann”.

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