Weshalb die digitale Transformation nur agil zu bewältigen ist | Ein Interview mit Markus F. Wanner

Wie lässt sich die digitale Transformation in den Unternehmen bewältigen? „Ausschließlich agil“, sagt Markus F. Wanner, Partner und Beauftragter der Geschäftsführung bei der Tiba Managementberatung. Im Interview erklärt er sehr konkret, was Agilität ausmacht, wo Unternehmen heute stehen und was zu tun ist, damit aus einem trägen Konzern eine agile Organisation wird.

Mehr zum Thema erklärt Markus F. Wanner bei der Pre-Session zu den » PM-Tagen am 14. und 15. März 2018 in München.

Was versteht man eigentlich unter „Agiler Organisation“?

Markus F. Wanner: Bei all den aktuell verwendeten Buzzwords ist es wichtig, zuerst ein gemeinsames Verständnis zu schaffen. Dies gilt ganz besonders in einem Unternehmen, das sich mit Agilität auseinandersetzen will.

  • Digitalisierung ist der Treiber.
  • Die digitale Transformation ist der Change von einem Ist- zu einem noch unklaren Zielzustand. Der notwendige, radikale Wandel beinhaltet noch nie dagewesene Herausforderungen – sowohl bzgl. des Inhaltes als auch in Bezug auf das Vorgehen. Ohne ein agiles Vorgehen ist der Change zum Scheitern verurteilt.
  • Agilität („organizational agility“) ist die aufzubauende Kompetenz als ein Teil des angestrebten Zielzustandes und beschreibt die Fähigkeit einer Organisation, sich permanent, flexibel und schnell an die sich ändernden Bedingungen des Umfelds anzupassen bzw. dieses sogar (pro-)aktiv zu gestalten.
  • Das agile Unternehmen oder die agile Organisation ist ein Element der Vision und ist per Definitionem nie zu einem Zeitpunkt X erreichbar. Eine völlig neue Form der Zusammenarbeit muss gestaltet und ständig weiterentwickelt werden.
Agile Organisation

Agile Organisation

Wie muss ein Unternehmen aussehen, um sich als „agil“ bezeichnen zu dürfen?

Wanner: Agilität ist ein Charakteristikum eines lebendigen Systems, um ständig veränderten Marktbedingungen zu begegnen.

Kennzeichen sind Kundenzentrierung und Mitarbeiterorientierung, Beweglichkeit, Reaktions- und Veränderungsfähigkeit sowie Resilienz. Dabei geht es in erster Linie um eine neue Haltung, um ein geändertes Mindset. Und um das Schaffen und Erlauben von (Frei-)Räumen, Möglichkeiten des selbstgesteuerten Arbeitens mit Reflexion und Lernschleifen.

Ein gesamtes Unternehmen wird dabei in den seltensten Fällen komplett agil sein. Dies macht auch keinen Sinn. Es wird immer um eine gute Mischung gehen, um eine hybride, adaptive Organisation. Agile Zusammenarbeit ist dort gefragt, wo es um Innovation und Umgang mit Komplexität, Unsicherheit und unklaren Anforderungen in der sogenannten VUCA-Welt (Volatility, Uncertainty, Complexity, Ambiguity) geht. Und eine möglichst effiziente Organisation ist dort zu verbessern, wo es um stabile sichere Prozesse geht. Agile Prinzipien und agiles Verhalten können dabei selbstverständlich auch ergänzend und unterstützend eingesetzt werden. Die Betonung liegt dabei auf „ergänzend und unterstützend“, denn die Einführung einer einzigen Methode, wie beispielsweise Scrum, reicht nicht aus. Denn ohne das beschriebene Mindset und die neue Rolle der Führung im Sinne von Supportive Leadership kann man die erhofften Ergebnisse nicht erreichen.

In einem agilen Unternehmen braucht es eine bestimmte Unternehmenskultur. Wie sollte diese aussehen?

Wanner: Eine Kultur spiegelt immer nur den gelebten Zustand, das gelebte Verhalten eines Unternehmens. Kulturveränderung ist daher zwingend notwendig, um vom aktuell hierarchischen und traditionellen Unternehmen zu einem neuen Organisationsmodell, einer neuen Form der Zusammenarbeit, zu kommen. Es geht um verändertes Verhalten.

Kultur ist aber nicht gesteuert gestaltbar! Kultur ändert sich ständig. Sie zeigt nur, was heute gilt. Change mindset, rest follows! Wer schon einmal ein Projekt zum Kulturwandel miterleben durfte, weiß wovon ich spreche. Diese leider meist top-down geplanten und gesteuerten Vorhaben sind schon früher oft gescheitert. In dem erklärten Umfeld – verbunden mit den Anforderungen einer Generation Y/Z – können sie nicht gelingen.

Kulturbeobachtung wird zur Basis für Impulse bei Organisationsänderungen. Kern und Klammer für einen Kulturwandel sind die gemeinsame Identität, die gemeinsamen Werte und eine mitreißende, mitgetragene Vision.

So verschieden die Kulturen von Unternehmen sind und zur unverwechselbaren Identifikation auch sein müssen, gehören unter anderem die folgenden Merkmale zur Kultur eines agilen Unternehmens:

  • Sinnstiftung als Kern der Kultur einer agilen Organisation
  • Selbstführung und -organisation
  • Orientierung am Kundennutzen
  • Mut und Offenheit
  • Vertrauen und Transparenz
  • Freiheit (z.B. für Freiräume)
  • Ganzheitlichkeit
  • Echtes Team

Welchen Status quo findest Du als Berater aktuell in den meisten Unternehmen vor?

Wanner: Sowohl in unseren Beratungsprojekten als auch bei unserer Change Round Table Veranstaltungsreihe zum Thema Agilität und Digitale Transformation, einem offenen, branchenübergreifenden Erfahrungsaustausch, machen wir immer wieder die Erfahrung, dass viel Unsicherheit besteht und dass es eine einfache Patentlösung nicht gibt.

Projekte zur Digitalen Transformation bzw. Agilisierung sind vielerorts gestartet. Andere stehen wie die Schlange vor dem Kaninchen und hoffen, dass irgendwie der Kelch an ihnen vorübergeht, was eine fatale Fehleinschätzung ist.

Zu viele Initiativen zur Digitalen Transformation (egal ob zu Internet of Things, zu Industrie 4.0 oder zum Aufbau von organisatorischen Vorreitern wie „Digital Labs“) sind noch im Anfangsstadium, gehen oft nicht weit genug und bleiben zu häufig bei der Bewältigung der technischen Herausforderungen.

Je größer jedoch die Veränderung aller 5 folgenden Elemente ist, desto größer ist die Komplexität der Wechselwirkung der betroffenen Handlungsfelder:

  1. Strategie/Geschäftsmodelle
  2. Organisation/Strukturen
  3. Kultur/Verhalten
  4. Mensch/Führung
  5. Prozesse/Systeme

Woran hapert es, wenn sich Unternehmen schwertun, agil zu werden?

Wanner: Es fehlt an Erfahrung. Keiner kann sagen, das haben wir schon so oder so oft erfolgreich realisiert. Die klassische Vorgehensweise ist obsolet. Planung und Kontrolle sind eine Illusion! Ein agiles Vorgehen, ein Learning by Doing mit Retrospektiven, ein Lernen beim Gehen, ist angesagt. Neues (Teil des Ziels) wird sofort erreicht durch viele kleine Umstellungen („Prototyping“).

Bestehende Management-Methoden wie Innovationsmanagement, Process Management, Lean Management oder Projektmanagement rücken in den Hintergrund und werden nur nach Bedarf eingesetzt, quasi im Sinne einer Werkzeugkiste. Neue Methoden, wie Business-Model-Innovation, Design Thinking und Scrum werden dagegen unverzichtbar.

Die menschliche Seite des Projektes wird zudem zu wenig berücksichtigt. Dabei hängt die Erreichung des Nutzens größtenteils von der Annahme ab, von der Nutzung des Neuen durch die Betroffenen. Das bedeutet, dass die Auswirkungen der Veränderung für einzelne Gruppen analysiert und Impulse gesetzt werden müssen. Der Change vollzieht sich in komplexen Mustern. Es geht dabei vor allem um die Mitarbeiter und deren Führungskräfte.

Und damit sind wir beim zentralen Erfolgsfaktor: Leadership!

Warum Führung so entscheidend ist beim Wandel hin zu einem agileren Unternehmen:

  1. Die oberste Führungsebene braucht viel Mut und Weitsicht, um eine Veränderung frühzeitig genug zu starten. Eine Veränderung, die Bestehendes in Frage stellt, sich auf Basis der klaren Kundenzentrierung, der Fokussierung auf die Kundenbedürfnisse, mit neuen Geschäftsmodellen beschäftigt, um das aktuelle Kerngeschäft zu ergänzen und damit auch mittel- und langfristig erfolgreich zu bleiben.
  2. Leadership bedeutet zudem, sich nicht nur auf die technisch-inhaltlichen Themen zu beschränken, sondern den notwendigen Kulturwandel mit verändertem Mindset zu initiieren und offen zu sein für die Überraschungen, die sich dabei ergeben. Und um ehrlich zu sein: Diese Art von Veränderungsprojekten sind das Schwierigste überhaupt!
  3. Bei einer solchen großen und radikalen Transformation ist ein aktives, sichtbares Sponsorship stets der wichtigste Erfolgsfaktor.
  4. Eine neue Führung ist ein zentrales, zwingend notwendiges Element einer agilen Organisation. Die Führungsrolle und das Führungsverständnis wird nichts mehr mit dem zu tun haben, was wir heute als Führung kennen.

Das bedeutet loslassen können, offen sein für völlig neue Formen der Zusammenarbeit, die sinnvoller und wirkungsvoller sind.

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