Erfolgreicher Wandel von der Einzelprojektorganisation zur Multiprojektorganisation

– Praxisbeispiel –

Zalando schreibt eine einzigartige Erfolgsgeschichte: Das E-Commerce-Unternehmen wächst über Jahre hinweg zweistellig. Dies stellt enorme Herausforderungen an die Logistik. Um nicht an seine Grenzen zu stoßen, investiert das Unternehmen frühzeitig in den Change zu einer Multiprojektorganisation. Damit verbunden ist die Einführung einer angepassten und geschärften Projekt-Governance, eines neu erarbeiteten Meilenstein-Frameworks und einer neuen PM-Software.

Tiba Magazin – Ausgabe 2/2017

Rund 2.000 Marken umfasst das umfangreiche Sortiment von Zalando. Angeboten werden Schuhe, Kleidung und Accessoires in 15 verschiedenen europäischen Märkten. Die Distribution erfolgt aus dem internationalen Logistiknerzwerk bestehend aus acht Logistikzentren in fünf verschiedenen Märkten.

In 2016 verzeichnete das Unternehmen 3,6 Milliarden Euro Umsatz und hat weiteres Wachstum für die nächsten Jahre angekündigt. Um ausreichend Logistikkapazitäten bereit zu halten, ist das Logistiknetzwerk von Zalando stark gewachsen. Nahezu jedes Jahr kam ein weiterer Standort hinzu. Allein in diesem Jahr haben drei Logistikzentren den manuellen Betrieb gestartet, zwei weitere große Logistikzentren in Polen und Norditalien sind in Planung.

Seit kurzem arbeitet Zalando mit der Tiba-Gruppe zusammen, um die Vielzahl zukünftiger Projekte noch besser steuern und planen zu können und eine Multiprojektorganisation einzuführen.

Der Auftrag beinhaltet eine Herausforderung: Der Wandel von der Einzelprojekt- zur Multiprojektorganisation soll möglichst schnell erfolgen. Vom Start bis zur Umsetzung stehen gerade einmal sechs Monate zur Verfügung, in denen parallel neue Logistikzentren geplant und realisiert werden sollen.

Zur Erhöhung der Geschwindigkeit wählt das Beraterteam deshalb einen semi-agilen Ansatz. So werden die Konzepte gleich in Pilotprojekten getestet und notwendige Änderungen sofort umgesetzt. Dabei orientiert sich das Team in allen Phasen an dem von Tiba entwickelten Achsenkreuzmodell. Dieses zeigt auf, wie die vier Erfolgsfaktoren Mensch, Prozesse & Methoden, Technologie und Organisation zusammenwirken und gibt so Aufschluss darüber, wo Handlungsbedarf besteht. Der Change-Prozess selbst wird in die drei Phasen Analyse, Konzeption und Implementierung gegliedert.

Semi-agiler Ansatz für mehr Geschwindigkeit

Multiprojektorganisation Zalando

Abb. 1: Abb. Implementierung des Projektmanagements für Zalando LND

 

 

Analyse auf Basis des Vier-Achsen Modells der Tiba

Die Analyse des Status Quo erfolgt anhand vorhandener Dokumente sowie persönlicher Interviews und Workshops mit ausgewählten Mitarbeitern. Um einen umfassenden Einblick in die Herausforderungen der einzelnen Bereiche zu erhalten und die relevanten Handlungsfelder zu definieren, werden intensive Gespräche mit mehr als 20 Personen geführt, die Lust auf Projektmanagement haben und im Core Team helfen wollen, das Projekt voranzubringen.

Abb. 2: Integrierter Analyseansatz der Tiba: Vier-Achsen-Modell für Einzel- und Multiprojektmanagement

Im Bereich Mensch konzentriert sich das Tiba-Team bei Zalando u.a. auf die Fähigkeiten und Qualifikationen der Mitarbeiter, ihre Skill-Profile, die vorhandenen Karrieremodelle und Kapazitäten.

Im Bereich Prozesse und Methoden wird der Fokus auf den Bereich der Projektablaufplanung, der Projektsteuerung und der Kommunikation gelegt. Aber auch Multi-Projektplanung, Ressourcenmanagement sowie die Integration mit den bestehenden Geschäftsprozessen des näheren Projektumfelds werden berücksichtigt. Da sowohl Zalando selbst als Unternehmen als auch die Anzahl der am Projekt beteiligten Bereiche stetig gewachsen sind, wird zudem ein besonderer Fokus auf das Schnittstellenmanagement gelegt.

Im Kontext der Projektorganisation geht es bei der Analyse zunächst um die grundsätzliche Struktur mit Verantwortlichkeiten und Kompetenzen sowie die Eskalations- und Entscheidungspfade.

Im Bereich Technologie wird schließlich analysiert, welche Tools für die Bereiche Einzel- und Multiprojektplanung und -steuerung, Ressourcenplanung und Reporting zur Verfügung stehen.
Das Analyseergebnis bestätigt: Das Zalando-Team verfügt über das Talent, unvorhergesehene Probleme schnell zu lösen sowie über zahlreiche nützliche und individuelle Ansätze im Projektmanagement.

Die offenen und vertraulichen Gespräche helfen, bereits zu Beginn Vertrauen aufzubauen, Probleme aufzuzeigen, Handlungsfelder zu priorisieren und erste Lösungsansätze gemeinsam zu erarbeiten – und dienen als wichtige Grundlage für die Konzeptionsarbeit.

Aufbau eines PMO zur Steuerung der Projekte

Wichtig für Zalando ist die Möglichkeit, Großprojekte parallel planen und umsetzen zu können. Benötigt wird eine eigene Organisationseinheit für die Weiterentwicklung des Projektmanagements, das Project Management Office (PMO). Dieses ist die zentrale Anlaufstelle rund um das Thema Multiprojektmanagement sowie Projektmanagement und übernimmt die daraus entstehenden Aufgaben. Für die Implementierung des PMO erarbeitet das Team aus Beratern und Zalando-Mitarbeitern die Vorteile des PMO und kommuniziert, welche Aufgaben, Kompetenzen und Befugnisse mit dem PMO verbunden sind.

Aufbau eines Prozessframeworks analog eines Produktentstehungsprozesses

In die Planung und Inbetriebnahme von Logistikzentren sind verschiedene Teams bei Zalando involviert. Eine perfekt aufeinander abgestimmte Zusammenarbeit – ähnlich wie bei einem Uhrwerk – ist für den Erfolg und die hohe Geschwindigkeit der Projektdurchführung wichtig. Entsprechende Relevanz haben Kommunikation und die rechtzeitige Einbindung aller notwendigen Mitarbeiter in die relevanten Projektphasen. Um die Abstimmung der Teams untereinander zu verbessern, wird das Zalando Logistics Project Framework (ZLPF) entwickelt – ein Prozessframework analog zum Produktentstehungsprozess für den Bau und die Inbetriebnahme von Logistikzentren. In dieser Blaupause werden projektweite Meilensteine, Aufgaben und Lieferobjekte nach RACI definiert. Checklisten stellen dabei sicher, dass alle Beteiligten zum richtigen Zeitpunkt die für sie relevanten Informationen zur Verfügung stellen und auch die für ihre Arbeit notwendigen Informationen rechtzeitig erhalten. Um dieses Framework zu definieren, werden wöchentliche Workshops mit den beteiligten Abteilungen und Personen durchgeführt. Durch die in hohem Maße motivierten Mitarbeiter bei Zalando ist die Aufstellung des ZLPF in relativ kurzer Zeit möglich. Das ZLPF dient nun als Grundlage für jedes neue Großprojekt und ist für die neue Multiprojektorganisation unverzichtbar.

Viel wichtiger noch als der reine Prozess ist das gemeinsame Verständnis für die Probleme und Themen der jeweils anderen Bereiche. Gemeinsam werden in den Workshops Erfahrungen ausgetauscht und Best Practices entwickelt, um die Projekte zukünftig noch besser durchzuführen. Nachdem die erste Version des ZLPF vom Management bestätigt wird, beginnen die Mitarbeiter sofort, den Prozess weiter zu optimieren. Zeitnah wird die Version 2.0 erarbeitet. Ein gutes Beispiel einer lernenden Organisation.

Das Framework ersetzt natürlich nicht die projektindividuelle Planung und die persönliche Kommunikation mit den jeweils eingebundenen Personen im Vorfeld eines Projektes, hilft aber als Gedankenstütze. Zudem bietet es hilfreiche Informationen dazu, wer welche Informationen wann braucht. Insbesondere können neue Mitarbeiter mit Hilfe des ZLPF viel schneller eingearbeitet werden.

Einführung einer neuen PM Governance und eines Steering Committees

Ein weiteres wichtiges Thema ist die Erarbeitung und Einführung einer neuen PM Governance. Mit diesem Schritt werden die Rahmenbedingungen geschaffen, die eine einheitliche Projektsteuerung und Projektführung auf strategischer und operativer Ebene ermöglichen. Ein großer Change ist dabei die organisatorische Änderung von der hierarchischen Linienorganisation zur projektorientierten Organisation. So wird die Rolle der Projektleiter als Unternehmer im Unternehmen definiert.

Zusätzlich wird ein Steering Committee geschaffen, das mit einer hinreichenden Projektnähe seiner Mitglieder aus allen entscheidenden Bereichen durch regelmäßige Zusammentreffen in der Lage ist, bei Entscheidungen schnell zu unterstützen.

Implementierung von cPlace für integrierte und kollaborative Projektplanung

Bereits die Planung eines Logistikzentrums erfordert den Überblick über zahlreiche Termine, aufeinander aufbauende Prozessschritte, Schnittstellendefinitionen und vieles mehr. Werden mehrere Logistikzentren parallel geplant und realisiert, ist es nahezu unmöglich, die Projekte ohne entsprechende Hilfsmittel im Blick zu behalten.

Agile

Aufgrund der jahrelangen Erfahrung im Bereich Auswahl von geeigneter Software für derartige Szenarien, identifiziert das Tiba-Team cPlace als geeignete Lösung für die wichtigsten Heraus-forderungen von Zalando beim Bau von Logistikzentren. Die Softwarelösung bietet einen integrierten und kollaborativen Projektplanungs-ansatz und die Möglichkeit einer starken Vernetzung zwischen den Terminplänen der einzelnen Fachbereiche. So erstellt der Projektleiter nun einen Masterterminplan mit den wichtigsten Meilensteinen aus dem ZLPF, der die Grundlage für alle Projekte ist. Jeder Fachbereich zieht die notwendigen Meilensteine aus diesem Masterplan heraus und erstellt darauf basierend den eigenen Detailterminplan. Terminverschiebungen einzelner Bereiche und damit verbundene Terminkollisionen mit anderen Bereichen werden sofort dargestellt und Gegenmaßnahmen können definiert und umgesetzt werden. Dieses Vorgehen ist bei derart großen und komplexen Projekten unverzichtbar. Mit der Einführung von cPlace ist nun auch eine reibungslose Skalierung möglich, so dass die Lösung auch bei einem weiteren Anstieg in der Anzahl der Projekte effektiv genutzt werden kann.

Fazit: Mehr Planungssicherheit und weniger Ressourcenbedarf

Durch die Einführung der PM-Konzepte, des ZLPF, der angepassten PM Governance und der Software wird eine erhöhte Transparenz über die Komplexität der Projekte, über Arbeitsschritte und Meilensteine sowie über Termine und Kosten erreicht. Dies schafft mehr Planungssicherheit – ein Aspekt, der beim Wandel zur Multiprojektorganisation sehr wichtig ist.

Wichtig ist diese Transparenz für das Top-Management, aber auch vor allem für den Projektleiter und das neu geschaffene PMO. So ist ab sofort ein einfacher und stets aktueller Überblick aller laufenden und geplanten Projekte auf „Knopfdruck“ möglich. Nur so können Probleme wie Ressourcenknappheit, übergreifende Risiken oder sinnvolle Budgetverschiebungen rechtzeitig erkannt und gesteuert werden. Auch ist eine mittelfristige Planung nun viel einfacher möglich. Das PMO als zentrale Anlaufstelle für alle Multi- und Einzelprojektmanagementthemen erlaubt einen verbesserten Wissenstransfer zwischen den Teams und innerhalb des gesamten Unternehmens.

Durch die Verlagerung der Entscheidungskompetenz zum Projektleiter kann das Top-Management sich nun auf die wichtigen Entscheidungen konzentrieren und wird nicht mit kleinteiligen Fragestellungen aufgehalten und abgelenkt.

Durch die beschriebenen Konzepte, organisatorischen Änderungen und die Einführung neuer Werkzeuge gelingt es dem Tiba-Team gemeinsam mit dem Projektteam von Zalando, die Weichen Richtung Multiprojektorganisation zu stellen und die ersten Logistikzentren nach den neuen Vorgaben zu planen und zu realisieren. Entsprechend des Wachstumskurses von Zalando wurden neue Projekte nach dem Framework ZLPF geplant und erfolgreich gestartet. Somit wurde der Grundstein für die weitere Entwicklung des Multiprojektmanagements bei Zalando gelegt.

Der Change zur Multiprojektorganisation – Herausforderungen und Lösungen auf einen Blick

Herausforderungen

  • Knappes Zeitfenster für die Einführung der Multiprojektorganisation
  • Klare Zuordnung der Aufgaben und Verbesserung der Zusammenarbeit der unterschiedlichen Fachbereiche in den Projekten
  • Schnellere Entscheidungen
  • Einheitliches PM-Verständnis
  • Integrierte und kollaborative Projektterminplanung über alle Projekte und Unternehmensbereiche hinweg
  • Kurzfristiger Ressourcenengpass bei den Projekten

Lösungen

  • Semi-agiler Ansatz
    • Sofortige Einbindung der Zalando-Mitarbeiter
    • Zalando-Mitarbeiter übernehmen sofort Themenverantwortlichkeiten
    • Change Management auf allen Hierarchieebenen
  • Entwicklung und Implementierung des Zalando Logistics Project Framework
  • Einführung und Verankerung der PM Governance
  • Projektleiter bekommen mehr Entscheidungsbefugnisse und Verantwortung (Dedicated Ownership)
  • Aufbau und Befähigung des PMOs
    • Durchführung von PM Schulungen für (Teil-) Projektleiter
    • Implementierung der Terminplanungssoftware cPlace
    • Einführung Ressourcenmanagement auf der Multiprojektebene und Tracking durch das PMO und die Fachbereiche

Nutzen

  • Skalierbarkeit des Wachstumes Zalandos durch die parallele Durchführung von Projekten
  • Einheitliche Projektsteuerung und Projektführung auf strategischer und operativer Ebene für Top Management, Projektleiter und das PMO
  • Transparenz über alle laufenden und geplanten Projekte auf „Knopfdruck“
  • Höhere Planungssicherheit und verbessertes Risikomanagement

 

Autor:in

Portrait Autor

Sebastian Schurig

Sebastian Schurig ist Leiter des Center of Competence Transformationsberatung und berät seit 15 Jahren Unternehmen verschiedener Größen und aus unterschiedlichen Branchen bei deren Transformationsvorhaben. Leidenschaftlich unterstützt er Personen, Teams und die ganze Organisation bei der Weiterentwicklung der Kompetenzen und Aufbau von organisatorischem Wissen, um Transformationen zu ermöglichen und zum Erfolg zu bringen.

Portrait Autor

Dr. Thorsten Gather

Dr. Thorsten Gather studierte Wirtschaftsinformatik an der TU Clausthal und promovierte anschließend im Themenkomplex Operations Research mit Schwerpunktrichtung Projekt- und Portfoliomanagement. Seit nunmehr 15 Jahren berät, trainiert und unterstützt er als Experte der Tiba Technologieberatung Projektmanager, -teams sowie projektorientierte Organisationen mit Blick auf die Ausgestaltung und dier toolseitige Unterstützung von Projektmanagementmethoden und -prozessen.