„Ja, mach nur einen Plan“, oder von der Unzulänglichkeit menschlichen Strebens

Zu Beginn des neuen Jahres blicken wir zurück, auf das was wir erreicht haben und auch auf das, was offen geblieben ist. Gleichzeitig schmieden wir Pläne für das neue Jahr und nehmen uns wieder (viel zu) viele neue Aufgaben vor. Der in Augsburg geborene Liedermacher, Bert Brecht, hat das in seinem Lied von der Unzulänglichkeit des menschlichen Strebens in der Dreigroschenoper verarbeitet:

Der Mensch lebt durch den Kopf, der Kopf reicht ihm nicht aus.
Versuch es nur; von deinem Kopf lebt höchstens eine Laus.
Denn für dieses Leben ist der Mensch nicht schlau genug. Niemals merkt er eben jeden Lug und Trug.

Ja, mach nur einen Plan, sei nur ein großes Licht!
Und mach dann noch’nen zweiten Plan, geh’n tun sie beide nicht.
Denn für dieses Leben ist der Mensch nicht schlecht genug, doch sein höh’res Strebenist ein schöner Zug.

Ja, renn nur nach dem Glück, doch renne nicht zu sehr, denn alle rennen nach dem Glück; das Glück rennt hinterher.
Denn für dieses Leben ist der Mensch nicht anspruchslos genug, drum ist all sein Streben nur ein Selbstbetrug.

Mit Planung wollen wir der Komplexität und der Unsicherheit des Lebens begegnen. Ein Plan dient dazu, abgearbeitet zu werden. In Projekten bieten Balken-Pläne eine Struktur, an der man sich leicht orientieren kann, die uns Sicherheit bietet und klare Aufgaben zuweist, die wir abarbeiten können. Pläne helfen sicherlich auch, die Zusammenarbeit mehrerer Menschen zu koordinieren. Ein Plan schafft Transparenz in Bezug auf das, was an Ereignissen oder Aufgabenstellung in der Zukunft auf uns wartet und ordnet unsere Handlungen in einer zeitlichen Abfolge. Wir müssen uns also keine Gedanken mehr machen, können uns zurücklehnen und entspannen, denn mit diesem Plan ist ja alles durchgeplant. Was soll da noch passieren? Unser Selbstvertrauen steigt und wir sind überzeugt, dass dem Erfolg bei der Umsetzung nichts mehr im Weg steht. Die Planung macht uns unbesiegbar. Soweit zur psychologischen Funktion des Planens. Aber warum geht dann doch so häufig etwas schief? Warum erreichen wir trotz all der Planung nicht unsere Ziele?

Planung baut auf Annahmen, auf Hypothesen und einer Einschätzung der zukünftigen Entwicklung auf. Sie ist in hohem Maße subjektiv und meist unzureichend. Je weiter die Planung in die Zukunft reicht, umso weniger trifft sie zu. Umso größer sind die Abweichungen und damit die Enttäuschung, wenn wir unsere Ziele nicht erreichen. Die Schuld wird dabei häufig dem Umfeld zugeschoben. Nicht der Plan war falsch, oder derjenigen, der den Plan erstellt hat, sondern die Entwicklung im Umfeld, Störfaktoren wie Politik und bestimmte Stakeholder haben die Erfüllung des Planes verhindert. Wir planen also beim nächsten Mal noch viel intensiver, noch genauer und detaillierter, um Erfolg zu haben… und merken nicht, dass wir damit alles noch viel schlimmer machen.

Heißt das nun, wir sollen gar keine Pläne mehr machen? Nein. Wir sollten jedoch die Rolle der Pläne und unsere Erwartungen daran überdenken. Es ist wichtig anzuerkennen, dass unsere kognitiven Fähigkeiten nicht ausreichen, um die zukünftigen Entwicklungen adäquat vorauszusehen und jede Eventualität mit Maßnahmen abzudecken. Wir sollten uns wieder mehr auf unsere Intuition in der Situation, auf unser Improvisationsgeschick bzw. das Handeln aus der Gelegenheit heraus verlassen. Ein Plan gibt eher die grobe Richtung vor und wird durch die Handelnden aus dem Tun heraus weiter angepasst und fortgeschrieben. Ein Plan ist also weniger eine Vorgabe von oben oder von außen. Ein Plan wird durch Erfahrungen und situatives Lernen fortgeschrieben. Pläne werden nicht ex ante, also vor deren Umsetzung formuliert, sondern ex nunc, aus dem Handeln durch die nächsten Schritte auf dem Weg zum Ziel hin. Damit geben wir die Verantwortung für den Erfolg des Handelns in Projekten an diejenigen, die für die Umsetzung eingeteilt sind und eröffnen damit Gestaltungsspielräume.

Aber wollen wir das überhaupt? Selbst Verantwortung übernehmen und das eigene Tun gestalten? Auf die Situation eingehen und sich anpassen, Dynamiken mitmachen und sich in gewisser Weise treiben lassen? Das klingt vermutlich wenig professionell. Eher unstrukturiert und chaotisch. Mit dem Wort Projektmanagement suggerieren wir doch, alles im Griff zu haben und Ziele effektiv und effizient erreichen zu können? Die Realität holt uns aber immer wieder ein, erinnert uns daran, dass wir demütig sein sollten und uns eher die Situation „im Griff“ hat. Wie bei der japanischen Kunst des Jiu Jitsu ist es wichtig, weich, sanft, flexibel und nachgiebig zu sein („Jiu“) und unsere Technik, Kunst, Methode und Fertigkeit („Jitsu“) an die jeweilige Situation anzupassen. Die Orientierung an einer langfristigen Strategie, an erfahrungsbasierten Heuristiken, Prinzipien und Wertvorstellungen hilft sicher mehr als ein detaillierter Plan aller Einzelaktionen mit den Terminen, Kosten und den dafür nötigen Ressourcen. Berthold Brecht nimmt mit seinem Lied eine eher pessimistische Haltung zur Planung ein. Wenn wir mutig an die Umsetzung an unserer Ideen gehen, dann brauchen wir nicht nur den Kopf, der unser Handeln vorausplant, und auch nicht das Glück, das uns fremdbestimmt. Das Handeln baut auf unsere intrinsische Motivation, unser selbstbestimmtes Handeln und das Einlassen auf die Situation, das Lernen und die Fortschreibung unserer Erfahrungen im Tun auf. In diesem Sinne viel Erfolg im neuen Jahr und bei den anstehenden Projekten.

Autor: Reinhard Wagner

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