Den fairen Umgang mit Mitarbeitern, Kunden und Umwelt – neudeutsch Corporate Social Responsibility (CSR) genannt – haben sich inzwischen viele Unternehmen auf die Fahnen geschrieben. Zwischen Anspruch und Wirklichkeit liegen jedoch häufig Welten.
Dr. Annette Kleinfeld berät Unternehmen in Sachen CSR und war als Referentin bei den PM-Tagen dabei. Im Interview spricht die renommierte Unternehmensberaterin über den Unterschied zwischen „guten Taten“ und CSR, Skandale und deren Folgen fürs Unternehmensimage sowie Familienunternehmen als positive Vorbilder.
Anspruch und Wirklichkeit liegen in Sachen Corporate Social Responsibility (CSR) oft sehr weit auseinander. In regelmäßigen Abständen kommen Skandale zutage, die dann durch die weltweite Presse gehen. Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?
Dr. Annette Kleinfeld: Je größer ein Unternehmen ist, je komplexer seine Abläufe, desto schwieriger ist es, dem eigenen Anspruch, egal welcher Art, durchgängig gerecht zu werden. Im Falle von CSR kommt hinzu, dass Unternehmen darunter noch immer höchst unterschiedliche Dinge verstehen. Die wenigsten orientieren sich an der neueren Definition der EU von 2011 oder am internationalen Umsetzungsstandard ISO 26000, wonach es bei CSR im Kern darum geht, neben ökonomischen gleichberechtigt auch ethische und andere verantwortungsrelevante Parameter zur Grundlage der unternehmerischen Zielsetzungen, vor allem der unternehmerischen Entscheidungsfindung zu machen – und zwar auf allen Ebenen! Viele verstehen darunter lediglich, sich durch „gute Taten“ gesellschaftlich zu engagieren – was viele auch zweifelsohne machen – und eine Fülle von Kennzahlen zur sogenannten Nachhaltigkeitsperformance zu erheben, wie sie von internationalen Berichtstandards wie GRI gefordert werden. Auch dies tun alle börsennotierten Konzerne heute fleißig.
Davon alleine werden jedoch nicht die informell in der gelebten Unternehmenskultur oder formal in der Strategie und in den Anreizsystemen verankerten normativen Orientierungen beeinflusst. Dafür spielen vielmehr die historisch gewachsene Kultur und die von den Unternehmenslenkern früher wie heute vorgelebten Werte und Prinzipien die zentrale Rolle. Hier sind traditionsreiche Familienunternehmen oder andere inhabergeführte Unternehmen, die seit ihrer Gründung von den „richtigen“ Werten geprägt worden sind, vielfach deutlich besser aufgestellt. Und das kann dann oft auch noch für große Unternehmen und Konzerne gelten, wie zum Beispiel im Falle von Bosch.
Kurzfristig richten Skandale großen Schaden beim Image an. Welche Folgen hat unethisches Handeln für den mittel- bis langfristigen Unternehmenserfolg?
Kleinfeld: Image-Schäden, vor allem aber der damit verbundene Vertrauensverlust bei allen Anspruchsgruppen (Stakeholdern), wirken grundsätzlich langfristig: „Ist der Ruf erst ruiniert“, lebt es sich als Unternehmen nicht „völlig ungeniert“, sondern braucht es in der Regel eine lange Zeit, bis die Glaubwürdigkeit des Unternehmens und seiner Marken wieder hergestellt ist. Nicht zuletzt aus diesem Grund und angesichts signifikant veränderter Rahmenbedingungen im gesellschaftlichen und politischen Umfeld von international agierenden Unternehmen gehe ich heute so weit, zu sagen, dass kein Unternehmen mittel- und langfristig erfolgreich sein oder bleiben kann, wenn es sich nicht auch an ethischen Prinzipien orientiert – und zwar durchgängig und konsequent, wie eingangs beschrieben. Es gibt kaum eine Anspruchsgruppe – von den eigenen Mitarbeitern über die Kunden und Anleger bis hin zur kritischen, zunehmend selbst organisierten Zivilgesellschaft –, die von Unternehmen nicht erwartet und einfordert, dass sie auf anständige Weise nach Erfolg streben.
Wobei man nie vergessen darf, dass Unternehmen gleichzeitig einem zunehmend radikalen Wettbewerbsdruck ausgesetzt sind und die wenigsten es sich erlauben können, Aufträge aus rein ethischen Überlegungen abzulehnen. So ideal ist die Welt bzw. der Weltmarkt leider nicht, auf dem wir uns bewegen. Gleichwohl zeigen Meta-Studien, die über einen längeren Zeitraum durchgeführt wurden, dass sich langfristig tatsächlich die Unternehmen durchsetzen, die sich zumindest ernsthaft um eine unternehmensethische Balance bemühen – und ggf. das im Einzelfall überlebensnotwendige Eingehen ethisch fauler Kompromisse auch als solches wahrnehmen und künftig zu vermeiden suchen.
Und wie steht es um die Ethik im Projektmanagement? Nehmen wir die WM in Katar als Beispiel: Korruption ist dort noch das kleinere Problem. Sind Großprojekte besonders anfällig für unethisches Handeln?
Kleinfeld: Den eigenen ethischen Anspruch am Ende des Tages auch tatsächlich umzusetzen, ist in einigen Bereichen und Branchen eine besonders große Herausforderung – ja. Märkte mit weniger stabilen gesetzlichen Rahmenbedingungen oder fundamental anderen Geschäftspraktiken als in Deutschland erleichtern diese Aufgabe nicht gerade. Der arabische Raum gehört sicherlich dazu. Ein Unternehmen, das vorbildlich handelt – also nach Erfolg mit Anstand strebt –, wird sich darüber aber bereits Gedanken machen, wenn es die strategische Grundsatzentscheidung fällt, in solchen Märkten aktiv zu werden – und womöglich keine Ziele formulieren oder Projekte durchführen, die unter den dort herrschenden Rahmenbedingungen tatsächlich nur unter Inkaufnahme von ethisch fragwürdigen Praktiken oder Zuständen (wie Korruption oder Menschenrechtsverletzungen) erreichbar sind. Argumente wie „das machen doch alle so“ oder „wenn wir es nicht machen, machen es unsre Wettbewerber“ sollten dabei ernsthaft diskutiert und mit in die Waagschale einer bewussten Entscheidungsfindung geworfen werden, anstatt nur stillschweigend als Grundlage verwendet und erst dann kritisch reflektiert zu werden, wenn das Ganze nicht gut ausgegangen ist.
Die Gegenargumente sollten im Vorfeld gehört und einbezogen werden. Sie können sich aus Aspekten des Reputationsrisiko-Managements ebenso speisen wie aus dem simplen Motiv „sowas tun wir nicht, weil es unseren kulturell verankerten Grundwerten und Überzeugungen widerspricht“. All dies setzt eine gewisse ethische Reflexions- und Argumentationskompetenz voraus, die leider noch immer eher selten zum Rüstzeug von Managern und Führungskräften gehört.
Was kann jeder Projektleiter in seinem Projekt / seinem Team tun, damit innerhalb dieses Teams und auch mit anderen Geschäftspartnern ein fairer Umgang gepflegt wird?
Kleinfeld: Zu den zentralen Hebeln der gelingenden Umsetzung einer unternehmensethischen Positionierung, beispielsweise in Form eines Leitbilds mit konkretisierendem Verhaltenskodex (Code of Conduct), gehört genau das: Die „Übersetzung“ der in der Regel eher abstrakten normativen Orientierungen in das eigene Tagesgeschäft, in die Gestaltung der eigenen Aufgaben und Projekte! Zum Beispiel anhand von Fragen wie „Was bedeuten denn Integrität und Fairness für unsren Bereich? Welche Praktiken müssen wir auf den Prüfstand stellen, um diesem Anspruch gerecht zu werden? Wo geht es bei uns schon fair zu – wo gibt es Verbesserungspotenzial“?
Dem Projektleiter kommt dabei eine doppelte Rolle zu: Zum einen muss er deutlich machen, dass er selbst hinter den betreffenden Werten und Prinzipien steht, und sie im Idealfall auch selbst vorleben! Zum anderen ist er Moderator eines kontinuierlichen Dialogs mit seinen Mitarbeitern, den er aktiv fördert und initiiert und deutlich Offenheit für etwaige Einwände oder Bedenken der Mitarbeiter signalisiert.
Schwierig wird es für jeden Projektleiter dann, wenn organisationsseitig ethische Prinzipien weder auf dem Papier noch de facto eine Rolle spielen, sondern nur ihm persönlich wichtig sind. Dann sind Dilemma-Situationen vorprogrammiert zwischen dem, was von „oben“ gefordert ist, und seinem persönlichen ethischen Anspruch. Das heißt nicht, dass es auf Projektebene keine eigenen Handlungs- und vor allem Verhaltensspielräume gibt, zum Beispiel wie ich mit meinen Mitarbeitern umgehe, wie ich sie führe. Aber Art und Inhalt der Projekte können per se ethisch fragwürdig sein. Ohne eine klare ethische Positionierung des Unternehmens selbst fehlen den operativen Ebenen dann Argumentationshilfen und die Legitimation zum Vorbringen ihrer moralisch begründeten Bedenken und Zweifel bezüglich bestimmter Aktivitäten.