Reaktionszeiten und Flexibilität für schnell wechselnde Kundenanforderungen

– Praxisbeispiel –

Wie lässt sich die richtige Balance zwischen Standardisierung und Flexibilisierung in Geschäftsprozessen finden, um die Produktentstehung dauerhaft für künftige, auch radikale Veränderungen fit zu machen? Antwort gibt dieses Praxisbeispiel aus der Automotive-Branche zur zweiten Leitlinie aus dem Whitepaper „Leitlinien für nachhaltig erfolgreiche Geschäftsprozesse“.

Tiba Magazin – Ausgabe 2/2019

Ein Tochterunternehmen eines Global Players im Automotive-Sektor deckt dessen Aktivitäten für Entwicklung, Produktion, Vertrieb und Service ab. Die an zahlreichen Produktions- und Servicestandorten sind mit massiven Änderungen konfrontiert: Die Änderungen betreffen die Branche selbst, u.a. durch den Einzug von alternativen Antriebstechniken und damit einhergehend neuen unternehmerischen Partnerschaften, sowie durch eine stark veränderte strategische Ausrichtung, und auch hinsichtlich veränderter regulativer Anforderungen. Hier spielt auch die VUCA Welt eine Rolle. Denn Volatilität, Unbeständigkeit, Unsicherheit, Komplexität und Mehrdeutigkeit bestimmen heute die Rahmenbedingungen der Unternehmensführung.

Um sich diesen Änderungen adäquat stellen zu können, soll der Produktentstehungsprozess (PEP) im Rahmen eines Business Process Re-Engineering komplett neugestaltet werden, um neue, flexiblere Methoden zu nutzen, die zu den heutigen und zukünftigen Marktanforderungen passen. Grenzen für die Neugestaltung sind nicht vorgegeben.

Anforderungen an den neuen PEP:

  • Perspektivenwechsel mit mehr Orientierung auf interne und externe Prozesskunden
  • Bedarfsgerechte Anpassungsmöglichkeit des PEP an den jeweiligen Projekttyp
  • Empowerment der Mitarbeiter: Übertragung von mehr Verantwortung ins Team
  • Nutzung von innovativen Methoden im PEP an sich, als auch Förderung von Innovation in den PEP geführten Entwicklungsprojekten
  • Agilität, Flexibilität und Schnelligkeit bei schnelländernden Anforderungen
  • Beibehalten der bestehenden Qualitätswerte
  • Aufbrechen der bestehenden funktionalen und lokalen Silos
  • Kontinuierliche Prozessverbesserung als integraler Bestandteil des PEP („Lernendes System“)

Schon aus diesen Anforderungen geht die Abkehr von tayloristischem Vorgehen hervor. Bemerkenswerterweise will das Unternehmen im hauseigenen PEP, dem eventuell wichtigsten Kernprozess, keine durchgehend standardisierte Vorgehensweise mehr vorgeben. Stattdessen soll er – ohne Kompromisse in der Qualität, Steuerungsfähigkeit oder Profitabilität – wesentlich flexibler, anpassungsfähiger und innovationsfördernder werden.

Als Ansätze für die Gestaltung des neuen PEP werden vor allem folgende Themenfelder identifiziert:

  • der Einsatz von adaptiven Projektmanagement-Modellen
  • die Einführung von Multiprojektmanagement und Projektportfoliomanagement
  • die Festlegung von Projekttypen und -kategorien für eine nachvollziehbare Anpassung des PEP an projektspezifische Anforderungen, und
  • der verbesserte Mitarbeitereinsatz nach Lean-Gesichtspunkten und mit modernen Organisationsmodellen.

Ein global gültiges Rahmenwerk für den Produktentstehungsprozess mit entsprechenden Governance-Strukturen soll entstehen, um modularer, flexibler und anpassungsfähiger zu werden. Für dessen Gestaltung sind vier Hauptströme und zusätzliche Aktivitäten identifiziert, wie z.B. regionale Verfeinerungen:

Geschäftsprozesse

Der Weg zur Flexibilisierung des Produktentstehungsprozesses

Zunächst wird der bisherige PEP und sein Umfeld systemisch hinsichtlich der Strategievorgaben, der beteiligten Menschen, der Methoden und Prozesse, der eingesetzten Technologie, sowie der Organisation analysiert. Design Thinking Workshops kommen zum Einsatz, um iterativ Ideen für einen neuen, praxisgerechten PEP weiterzuentwickeln. Es wird auch in Betracht gezogen, die PEP-Neugestaltung im Rahmen einer selbstorganisierten Netzwerkorganisation durchzuführen, um einen breiten Erfahrungsschatz in die PEP-Gestaltung ressourcenschonend einbringen zu können.

Eine Sponsoren-Koalition im oberen Management wird aufgebaut. Sie formuliert Vision, Ziele und erwarteten Nutzen. Zudem wird sie als dauerhaft aktives Element in das Projekt eingebunden, um Teams und Mitarbeiter durch den Change zu führen. Auch im weiteren Verlauf des Projekts wird die Change Management Methode Prosci® stark genutzt, um den Erfolg und vor allem die nachhaltige Verankerung des neuen PEP sicherzustellen.

Mit Pilotprojekten wird ein radikaler, schneller Change in einem ausgewählten Geschäftsbereich angestrebt. Die kurzfristigen Erfolge fördern die notwendige, generelle Bereitschaft zur Änderung der Unternehmenskultur und des Mindset bei den Beteiligten durch positive Impulse, Empowerment und verbesserte Kommunikation. Damit bereitet man auch den Boden für organisationale Änderungen, die mit den Mitarbeitern gemeinsam erarbeitet werden.

Die Flexibilisierung des PEP wird vor allem durch sechs agile Elemente erreicht, die im neuen PEP integriert werden:

  • Kollaboration
  • Time Boxing
  • Selbstorganisation
  • Iterative Entwicklung
  • Wertorientierte Priorisierung und
  • Empirische Prozesssteuerung

Dies wird durch eine schrittweise Agilisierung nach Bedarf und Reifegrad ergänzt, durch Ausbau des agilen Mindset, Skillset, und Toolset. Die adaptive Nutzung von Projektmanagement-Methoden wie Design Thinking, Scrum, Kanban, Lean Development wird neben klassischen PM-Methoden im PEP erlaubt, und Empfehlungen für deren Anwendung bestimmt.

Alle Maßnahmen zur Flexibilisierung werden zudem durch einen parallelen Ausbau des Wissensmanagements und entsprechende Qualifizierungsmaßnahmen unternehmensweit unterstützt.

Fazit. Den kontinuierlichen Wandel in der Produktentstehung stemmen

Das Projekt bringt eine Projektlandschaft hervor, die sich von der reinen Hardware-Betrachtung ablöst und systemisch alle Fachbereiche integriert. Durch kurze, iterative Zyklen steigen die Reaktionsfähigkeit und Flexibilität für schnell wechselnde Kundenanforderungen, bei gleichzeitiger Einhaltung der standardisierten Prozessvorgaben aus Qualität, Compliance und normativen Standards. Die adaptive Methodenwahl für das Projektmanagement im PEP und eine Betonung der kontinuierlichen Verbesserung sowie Wissenserweiterung stellen dabei die dauerhafte Anpassung an zukünftige Anforderungen aus dem Geschäftsumfeld sicher.

Autor: Markus F. Wanner, Management Consultant, Partner, Beauftragter der Geschäftsführung, Tiba Managementberatung GmbH
Email: redaktion(at)tiba.de

Geschäftsprozesse …

stellen neben der Methoden- und Fachkompetenz sowie den Ressourcen ein Hauptelement der Fähigkeiten eines Unternehmens dar. Trotzdem fehlt bei ihrer Gestaltung häufig der Bezug zu Vision, Werten und Strategie des Unternehmens. Zudem werden sie zu selten an die kontinuierlichen Änderungen im Kundenbedarf und in den systemischen Rahmenbedingungen bezogen auf die Parameter Mensch, Methoden & Prozesse, IT-Landschaft, Organisation und dem Geschäftsumfeld angepasst. Die Folge: Das Unternehmen wird zunehmend ineffizient und ineffektiv.
Dauerhafte Wettbewerbsfähigkeit erfordert eine sorgfältige Planung und kontinuierliche Weiterentwicklung der Geschäftsprozesse. Das Whitepaper „Leitlinien für nachhaltig erfolgreiche Geschäftsprozesse“ zeigt vier bewährte Gestaltungsprinzipien für Geschäftsprozesse auf, und schlägt das Navigation Point Model als ganzheitlichen Lösungsansatz vor.

Unsere Trendserie gibt in aufeinander aufbauenden Ausgaben Praxistipps für die erfolgreiche Umsetzung der vier Leitlinien:

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Lesetipps – weitere Fachbeiträge und Praxisbeispiele im Tiba Magazin online:

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Markus F. Wanner

Partner, Beauftragter der Geschäftsführung, Berater und Trainer,
Tiba Managementberatung GmbH

Email: redaktion(at)tiba.de

Markus F. Wanner ist seit 22 Jahren für die Tiba Managementberatung tätig und seit über 30 Jahren als Berater, Projektleiter, Trainer, Coach und Change Begleiter/ Moderator aktiv. Aktuell stehen die Themen Transformationsgestaltung mit agiler und digitaler Transformation auf seiner Agenda. Der gelernte Industriekaufmann und Diplom-Wirtschaftsingenieur (FH) ist PMP® – Project Management Professional (PMI®), zertifizierter Senior Projektmanager (IPMA®), Certified Scrum Product Owner®, Certified SAFe® 4 Agilist und Certified Prosci® Change Practitioner sowie Prosci® Certified Advanced Instructor und Certified Agile Leadership. Als Partner und Beauftragter der Geschäftsführung hat er die Beratungsleistungen der Tiba rund um die Kernkompetenz Projektmanagement mit komplementären Leistungen zu Prozess- und Change Management weiter ausgebaut. Als Beratungsleiter verantwortet er große, komplexe Beratungsprojekte. Aus seiner Erfahrung in der Strategieberatung stammt sein Fokus auf den Kundenbedarf und auf die Implementierung von Ergebnissen.