Die Bedeutung von Personalentwicklung in Transformationsprozessen

Personalentwicklungsmaßnahmen und die strategische Ausrichtung der Organisation müssen Hand in Hand gehen, um Transformationen erfolgreich zu gestalten. Aber wie kann dies gelingen? Und welche Personalentwicklungskonzepte sind in der Praxis tatsächlich umsetzbar?

– Tiba Magazin 2021 –

Vor dem Hintergrund der aktuellen gesellschaftlichen, politischen und ökologischen Veränderungen beschäftigen sich immer mehr Organisationen mit dem Thema Transformationsfähigkeit.

Gemäß einer häufig zitierten Studie von McKinsey & Company (2020) scheitert jedoch ein Großteil aller begonnenen Unternehmens-Transformationen unter anderem deshalb, weil die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht ausreichend in den Transformationsprozess einbezogen wurden. Diese mangelnde Integration äußert sich in vielfältiger Art und Weise: Oftmals werden die Mitarbeitenden nicht hinlänglich befähigt, die aufgrund der Transformation entstanden Veränderungen umzusetzen oder – noch schlimmer – sie werden nicht mal über die anstehenden Veränderungen informiert oder in den Prozess mit einbezogen. Beide Fehler können fatale Konsequenzen für Unternehmen haben.
Eine Folge der gescheiterten Transformation ist der Verlust langjähriger und wertvoller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die nicht mitgenommen wurden und sich daher – aus Angst und/oder fehlender Wertschätzung – anderweitig orientieren.
Bereits 2011 haben Scheelen & Bigby in ihrem Buch „Kompetenzorientierte Unternehmensentwicklung“ festgestellt, dass Unternehmen im Zuge anstehender Veränderungen häufig vergessen, die Mitarbeitenden “abzuholen” und aktiv miteinzubeziehen. Die oben beschriebene Folge des „Brain drain“ ist einfach nachvollziehbar, denn „High Potentials bleiben gerne in einem Unternehmen, in dem Wert auf Führung, Coaching und Personalentwicklung gelegt wird, wo sie fit gemacht werden für eine individuelle berufliche Zukunft“ (ebd., S. 148).
Es wird deutlich, dass Personalentwicklungsmaßnahmen und die strategische Ausrichtung der Organisation Hand in Hand gehen müssen, um derart große Veränderungen nachhaltig und erfolgreich umsetzen zu können. Aber wie kann dies überhaupt gelingen? Und welche Personalentwicklungskonzepte sind in der Praxis tatsächlich umsetzbar?

Personalentwicklung in Transformationsprozessen – Ein Praxisbeispiel

Die Ausgangssituation

Ein mittelständisches Großhandelsunternehmens war jahrzehntelang durch Zukäufe national und international gewachsen, ohne die zugekauften Unternehmen in die bestehende Organisationsstruktur zu integrieren. Besonders im IT-Bereich resultierte dies in einem „Wildwuchs“ an Systemen, Prozessen und Verantwortlichkeiten, was dringend eine Konsolidierung erforderte. Der IT-Leiter entwarf daher zusammen mit seinen Führungskräften eine neue, zeitgemäße IT-Struktur, die auch die Geschäftsanforderungen deutlich besser unterstützt.

Akzeptanz schaffen durch individuelle Personalentwicklungsmaßnahmen

Zu Beginn jedes erfolgreichen Veränderungsprozesses ist es wichtig, zunächst Akzeptanz für die Veränderung bei den Betroffenen zu schaffen. Denn eine völlig normale und absolut menschliche Reaktion auf Veränderungen ist Widerstand, egal wie innovativ und durchdacht die Vorgehensweise im Rahmen der Transformation sein mag. Um diesen Widerstand zu überwinden, müssen die Mitarbeitenden ein Bewusstsein entwickeln, warum dieser Change für das Unternehmen wichtig ist und welche Vorteile sich daraus ergeben.

Das weltweit angewandte Change Management ADKAR-Modell greift diese Tatsache auf und bezeichnet daher das Schaffen von Awareness als den ersten Schritt eines Veränderungsvorhabens (Prosci, 2020). ADKAR ist ein Akronym, das repräsentativ für die fünf Meilensteine steht, die ein Individuum erreichen muss, um Veränderungen erfolgreich durchlaufen können: Awareness, Desire, Knowledge, Ability, Reinforcement.
Ein gut durchdachtes Personalentwicklungskonzept legt den Grundstein für das Schaffen von Bewusstsein bei den Mitarbeitenden.

Auch in unserem Großhandelsunternehmen führten die neue Arbeitsweise und die strukturellen Veränderungen im IT-Bereich bei den Angestellten zu Ängsten und warfen Fragen auf. Daher wurden mit allen 130 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern persönliche Gespräche geführt, in denen der IT-Leiter die Hintergründe und Zielsetzung erläuterte, sowie die Bedeutung dieser Veränderung für jeden einzelnen Mitarbeiter bekräftigte. So konnten Missverständnisse vermieden, Ängste erkannt und die hilfreichen Hinweise der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für den Veränderungsprozess genutzt werden. Außerdem wurde konkret festgelegt, welche Personalentwicklungsmaßnahmen im Einzelfall notwendig waren, damit die Mitarbeiter*innen ihren – teilweise deutlich veränderten – zukünftigen Aufgaben gerecht werden konnten. Dieser Umbau des IT-Bereichs dauerte 18 Monate und führte am Ende zu einer deutlich verbesserten Performance (z.B. schnellere Reaktionszeiten) sowie zu einer Reduzierung der laufenden IT-Kosten um knapp 20%.
Ein zentraler Erfolgsfaktor war das Coaching des IT-Leiters über den gesamten Zeitraum hinweg.

Das Augenmerk wurde dabei auf das Kommunikationsverhalten des IT-Leiters gelegt z.B.:

  • Das Erkennen von Ängsten und Widerständen sowie der professionelle Umgang damit
  • Das Erkennen von Konflikten und das Lösen derer
  • Die individuelle Motivation der Mitarbeitenden im Veränderungsprozess

Aber auch der Umgang mit dem enormen Druck und Stress, das zielgruppengerechte Stakeholdermanagement (Erfüllung der Anforderungen der unterschiedlichsten Interessensgruppen) sowie eine verbesserte Selbstreflexion standen im Fokus des Coaching-Prozesses.
Diese zweigeteilte Herangehensweise (Entwicklung der Mitarbeitenden und der Führungskraft) machte den Change sehr erfolgreich. Durch das Coaching des IT-Leiters konnte dieser seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter besser auf die Veränderungsreise mitnehmen, sodass diese den Prozess am Ende sogar aktiv unterstützt haben (= Desire). Aber auch die individuellen PE-Maßnahmen bei jedem/r einzelnen Mitarbeiter:in befähigte diese, den Weg auch mitgehen zu können (= Ability).

Was passiert, wenn die Mitarbeitenden nicht ausreichend in den Transformationsprozess eingebunden werden?

Einige Monate später wurde dieses Unternehmen von einem US-amerikanischen Konzern gekauft. Ein erneuter Umbau des IT-Bereichs stand an, diesmal eine Integration in die europäische IT-Organisation des US-Konzerns.
Im 1. Schritt wurden durch eine externe Personalberatung anhand standardisierter Persönlichkeitsprofile der Führungskräfte individuelle Potentialanalysen durchgeführt, um darin erkannte Defizite im 2. Schritt individuell zu betrachten und ggf. auszugleichen. Doch der Prozess wurde nach dem 1. Schritt abgebrochen und die IT-Integration top-down durchgesetzt. Die IT-Verantwortlichen bekamen unrealistische Vorgaben zur Umsetzung, ohne dass sie selbst, geschweige denn die Mitarbeiter, mitgenommen oder einbezogen wurden. Infolgedessen kündigten in der deutschen IT-Organisation zahlreiche Mitarbeiter*innen auf allen Hierarchieebenen – teilweise haben ganze Teams das Unternehmen verlassen. Daraus resultierte eine deutlich eingeschränkte Leistungsfähigkeit im IT-Bereich mit damit verbundenen massiven Mehrkosten

Der Vergleich dieser beiden Transformationsprozesse in ein und demselben Unternehmen illustriert deutlich, wieso die Unternehmensberatung McKinsey in einer Studie aus dem Jahr 2019 u.a. „inadäquaten Management Support und einen reinen Top-Down-Ansatz“ sowie „fehlende Mitarbeiterbindung“ als wesentliche Faktoren für das Scheitern von Transformationen erkannt hat.

Was bedeutet dies nun für die Rolle der Personalentwicklung im Rahmen von Transformationen?

  • Die Personalentwicklung in Transformationsprozessen ist ein – vielleicht sogar – DER zentrale Erfolgsfaktor
  • Die Ermittlung des individuellen Personalentwicklungsbedarfs ist die originäre Führungsaufgabe des Linienvorgesetzten. Dabei muss er/sie gezielt herausarbeiten, in welchen Kompetenzbereichen ein Entwicklungsbedarf besteht. Auch in Matrixorganisationen muss es dazu eindeutige Verantwortlichkeiten geben.
  • Der erkannte Personalentwicklungsbedarf muss mit geeigneten Maßnahmen konsequent umgesetzt werden.
  • Um die Wirksamkeit im Einzelfall zu erkennen, ist der laufende Austausch zwischen der Führungskraft und dem Mitarbeitenden notwendig, um ggf. nachsteuern zu können.
  • Die Führungskräfte benötigen sehr häufig Unterstützung bei dieser schwierigen Aufgabe. Ein probates Mittel ist dabei Einzel-Coaching. Es kann aber auch sinnvoll sein, ganze Teams in einen Coaching-Prozess zu schicken bspw. dann, wenn diese neu zusammengestellt werden.

Welche Kompetenzfelder müssen bei einer Transformation entwickelt werden?

In der Literatur sind zahlreiche Kompetenzmodelle bekannt, die an dieser Stelle nicht vertiefend betrachtet werden sollen. Für die folgende Ausführungen unterscheide ich daher folgende Kompetenzen:

Abbildung 1: Eigene Darstellung nach Beutnagel

Greifen wir o.g. Beispiel auf, so wird schnell deutlich, dass Fach- und Methodenkompetenzen weiterentwickelt werden müssen, um bspw. den Umgang mit einer neuen Software zu erlernen und die dadurch resultierenden Prozesse zu verstehen. Meist werden daher hauptsächlich fachliche Schulungen oder Zertifizierungen für die neuen Technologien angeboten. Doch häufig enden genau hier auch die durchgeführten Personalentwicklungs-Maßnahmen, denn die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind ja nun vermeintlich in der Lage ihre neuen Tätigkeiten korrekt auszuführen.
Ich denke, die Weiterentwicklung der sozialen und personalen Kompetenzen ist für eine erfolgreiche Transformation mindestens genauso wichtig wie die rein fachlich-methodische Komponente. Im oben genannten Beispiel musste sich der Mitarbeiter plötzlich in einem internationalen Umfeld bewegen und interkulturelle Kompetenzen beherrschen.

Im Rahmen einer Transformation ist es möglich, dass eine Mitarbeiterin sich nun als fachlich Verantwortliche in einer Matrix-Organisation wiederfindet, die von ihr wesentliche Priorisierungskompetenzen aber auch ein höheres Maß an Flexibilität verlangen. Und genau dieser Teil der Personalentwicklung kommt oft zu kurz, vielleicht auch deshalb, weil er deutlich aufwendiger als die Weiterentwicklung der reinen Fach- und Methodenkompetenz ist.

Daher stellt sich die Frage, welche Personalentwicklungs-Maßnahmen geeignet sind, um genau diese sozialen und personalen Kompetenzen weiterzuentwickeln. Ein persönliches Coaching kann hier einen entscheidenden Beitrag leisten. Denn Coaches sind ausgebildet darin, im individuellen Einzelfall zielorientiert Verhaltensänderungen mit dem Coachee zu erreichen. So unterschiedlich die Mitarbeiter und ihre Kompetenzentwicklungsbedarfe sind, so individuell kann der Coach gemeinsam mit dem Coachee daran arbeiten. Und so wird in einem Fall eine Coaching-Sequenz von 5 Stunden verteilt über 2 Monate ausreichen, um mit dem Coachee an der Verbesserung der Sozialkompetenzen, wie beispielsweise der Umgang mit interkulturellen Konflikten, zu arbeiten.

Wenn eine Mitarbeiterin zukünftig fachliche Führungsaufgaben in einer Matrixorganisation übernehmen muss, ist eine Begleitung durch den Coach über einen Zeitraum von 6 bis 12 Monaten empfehlenswert, um sie in die Lage zu versetzen, mit dieser neuen Herausforderung gut umgehen zu können. Um die Leistung von Teams oder Abteilungen zu verbessern, können diese im Rahmen eines Teamcoachings unterstützt werden. Dies ist nachhaltiger als einmaliges ad-hoc „Teambuilding“, etwa in Form von Outdooraktivitäten.
Zusammenfassend lässt sich sagen, organisationale Transformationen können nur dann erfolgreich sein, wenn Mitarbeitende aktiv mitgenommen werden. Gezielte und individuelle Personalentwicklungsmaßnahmen sind unermesslich und können über den Erfolg eines solchen Vorhabens entscheiden. Hören Sie Ihren Mitarbeitenden aktiv zu und begegnen Sie proaktiv den Risiken.

Wenn der Wind der Veränderung weht, bauen die einen Mauern und die anderen Windmühlen.

– Chinesisches Sprichwort –

Zu unseren Coaching-Leistungen

Literaturverzeichnis

Beutnagel, B. (kein Datum). Personalentwicklung im Kontext einer dynamischen Arbeitswelt. Von https://www.bnw-seminare.de/magazin-beitrag/kompetenzen-entwickeln/personalentwicklung-im-kontext-einer-dynamischen-arbeitswelt/ abgerufen

McKinsey & Company. (2020). Why do most transformations fail? A conversation with Harry Robinson. The next normal. Tranformation wirth a capital T, S. 124-125.

Prosci Inc. (2020). The Prosci ADKAR Model. A goal oriented change management model to guide individual and organizational change.

Scheelen, F. M. & Bigby, D. G. (2011). Kompetenzorientierte Unternehmensentwicklung: Erfolgreiche Personalentwicklung mit Kompetenzdiagnostiktools (1. Aufl.). Haufe-Lexware.

 

Autor:in

Portrait Autor

Kirsten Lamprechter

Kirsten Lamprechter, Operation Managerin der Tiba Coaching GmbH, ist seit 15 Jahren als Trainerin und Business Coach tätig. Neben der Leitung der Tiba Coaching, arbeitet sie selbst als Business Coach mit Führungskräften und Teams. Dabei geht es um Fragen der persönlichen Weiterentwicklung von Menschen aber auch um die Begleitung von Mitarbeiter:Innen in Veränderungsprozessen. Da der „Faktor Mensch“ für das Gelingen von Veränderungsprozessen die größte Bedeutung hat, beschäftigt sie sich intensiv mit den Erfolgsfaktoren auf dieser Ebene.