Agile to go – Der Mensch im Mittelpunkt

– Tipps für die Praxis –

Auf dem Weg zur Agilisierung ist das Supportive Management wesentlich. Wir gehen der Frage nach, welche Rolle das Vertrauen dabei spielt und wie Führungskräfte ihre Teams zur Selbstorganisation befähigen und sie dabei unterstützen können, erfolgreich zu sein.

Tiba Magazin – Ausgabe 1/2018

Bislang wurde im Projektmanagement meist alles dafür getan, das Projektziel möglichst „kompromisslos“ zu erreichen, wenn nötig auch mit Druck und Zwang. Im agilen Umfeld sind Aufgaben komplexer. Deshalb sind zum Erreichen des Ziels kreative Interaktionen zwischen Menschen notwendig. Damit müssen neben dem Projektziel immer mehr auch der Mensch und die menschlichen Interaktionen im Mittelpunkt stehen (vgl. agiles Manifest: „Menschen und Interaktionen vor Prozesse und Tools“).

Jeder von uns kann heute anfangen, „Oasen“ für mehr „Menschlichkeit“ in seinen Alltag einzubauen und andere dazu einzuladen. Hier geht es v.a. darum Vertrauen aufzubauen und somit eine neue Kultur zu etablieren, in der nicht bewertet, kritisiert und verurteilt wird.

Auch als Führungskraft kann ich dazu beitragen, indem ich bewusst Zeit dafür in gemeinsame Termine, Meetings und Trainings einbaue.

Hier ein paar Beispiele von Mini-Schritten zu großen Interventionen:

  • Danken: Kurz Innehalten und sich in einer ruhigen Minute aufrichtig bei einer Person bedanken und mitteilen, was genau mir gefallen hat. Das dauert oft nicht länger als 30 Sekunden.
  • Check-in am Meeting-Start: Jeder Teilnehmer bekommt am Anfang des Meetings 1 Minute ungeteilte Aufmerksamkeit, um in der Runde zu teilen, wie es ihm gerade geht und was ihn gerade bewegt. Alle anderen hören nur zu und kommentieren nicht.
  • Feedback zum Prozess: Am Ende eines persönlichen Gesprächs, eines Meetings, einer Veranstaltung oder eines (Teil-) Projektes kurz Zeit nehmen, den Prozess zu reflektieren und zu hören, wie es den einzelnen in der Zusammenarbeit ergangen ist. Oft reichen schon 3-5 Minuten. Wichtig ist, dass diese Zeit frei von Diskussionen über das (Projekt-) Ergebnis ist und ausschließlich für menschliche Interaktionen genutzt wird. Scrum nutzt so eine „Retrospective“ immer am Ende eines Sprints (d.h. alle 1-4 Wochen für ca. 2 Stunden.)
  • Gemeinsame „Frei“-Zeit: Nichtstun, meditieren, reflektieren ist für kreative Gehirnarbeit so wichtig wie das Ausatmen für den Körper. Wir können nicht immer nur einatmen, genauso können wir nicht immer nur rational, effizient arbeiten. Bewusste Räume zum „Nichts-Tun“ im Arbeitsalltag einzubauen, in denen das Team „ausatmen“ kann, kann insgesamt effizienter sein als ein 100% effizient durchgetakteter Arbeitstag. Eine ruhige Kaffeeecke mit Couch, ein Kicker, Zugang zu einem Garten etc. eignen sich dafür bestens.

Egal, welches Format als Rahmen gewählt wird – wichtig ist, dass drei Punkte eingehalten werden:

  1. Schutz vor externen Störungen: Keine Handys, To Dos, Lärm, Ablenkung. Die Beteiligten sollten entspannt und angstfrei sein, ggf. braucht es dafür in diesem Bereich klare Regeln, Struktur oder eine Timebox.
  2. Wohlwollende Haltung: Die Beteiligten sollten gegenseitig dafür sorgen, dass in den „Oasen“ „von Herzen“ gesprochen wird und nicht zu rational analysiert und bewertet wird. Gefühle, Bedürfnisse und ungewöhnliche Sichtweisen haben hier explizit Platz.
  3. Raumgestaltung als Management-Kompetenz: Im Zuge der Selbstorganisation wird es für Führungskräfte immer wichtiger, Räume zu schaffen, in denen kreativ und kooperativ gearbeitet werden kann. Wenn Punkt 2 nicht von allein funktioniert, kann es sinnvoll sein, durch gute Moderation aktiv einen Raum für wohlwollende Haltung zu schaffen bzw. das Team so lange dabei zu unterstützen, bis es dies von allein schafft.

Sie möchten mehr zu diesem Thema erfahren?
Das White Paper „Wie wirkt sich der Trend „Agilität“ auf das Projektmanagement aus“ finden Sie als Download unter https://www.tiba.de/aktuelles/downloadarea/ . Wahlweise kann es bei der Tiba per Mail an redaktion@tiba.de kostenlos angefordert werden.

 

Die Praxistipps zu „Der Mensch im Mittelpunkt“ beziehen sich auf das Prinzip 4. Supportive Management

Auch dem mittleren Management kommt im komplexen Umfeld eine etwas andere Rolle zu, als es die meisten bisher gewöhnt sind. Für Selbstdarsteller, Weltretter und Superhelden ist da wenig Platz. Hier werden eher Menschen gebraucht, die mit einem Augenzwinkern das Team beobachten und es dabei unterstützen, sich selbst zu organisieren, um IHRE Aufgabe zu meistern. Es ist nicht servant leadership, da das Management weder Diener (Befehlsempfänger des Teams) noch Führer (führen tut vor allem das Kundenbedürfnis) sein soll, sondern partnerschaftlich und auf Augenhöhe mit dem Team agieren soll. Das Management hat eine eigene aktive und verantwortungsvolle Aufgabe, nämlich das Team zur Selbstorganisation zu befähigen und es bestmöglich dabei zu unterstützen erfolgreich zu sein. Das erfordert eine reife Persönlichkeit und Fähigkeiten, die in den bisherigen Managementseminaren meist nicht im Mittelpunkt standen. Genauso schwer wie es dem Team fallen wird sich selbst zu organisieren, wird es wohl den Managern fallen, diese neue Rolle wahrzunehmen, denn beides bedingt sich gegenseitig. Das Schöne daran ist, dass bei diesem Versuch beide erheblich wachsen werden, und es aktiv einer Meckerkultur sowie Ego-Trips einzelner entgegenwirkt. Als Folge reduziert sich die Ungleichverteilung der Arbeit im Unternehmen und somit die Kluft zwischen Unter- und Überforderung. Die neuen Hauptaufgaben der Manager werden sein, als Moderator bzw. Facilitator zu agieren, das Team konsequent vor Einflüssen von außen zu schützen und die erforderlichen Rahmenbedingungen für Kreativität und Vertrauen zu schaffen.

 

 

 

 

Tiba hat die folgenden sieben Prinzipien erarbeitet, die Orientierungshilfe bieten und als Basis für künftige Qualifizierung von Projektteams und Führungskräften in agil arbeitenden Organisationen geben sollen:

    1. Freiwilligkeit
    2. Geschützter Raum
    3. Echtes Team
    4. Supportive Management
    5. Iterate to Wow
    6. Kundennutzen
    7. Übergreifende Abstimmung

 

Ziel des agilen PM ist es, die Wirtschaft wieder mehr am Menschen auszurichten. Denn nur so lässt sich die Wertschöpfung in Zeiten komplexer Umfelder und sich ständig ändernder Rahmenbedingungen optimieren.

Für die meisten Unternehmen wird die Anwendung der vorgestellten Prinzipien mit der damit verbundenen Selbstorganisation der Teams und dem Supportive Management mit einem großen Change des Mind Set verbunden sein. Eine Umsetzung von heute auf morgen ist damit nicht möglich.

Die Agilisierung des PM sollte deshalb so erfolgen, dass jede Organisation den für sie passenden Grad an Agilität definiert und Schritt für Schritt den Change vorantreibt, ohne dabei die Organisation zu überfordern. Ganz den Prinzipien folgend sollte auch hier iterativ vorgegangen, verschiedene PM-Ansätze individuell kombiniert und das Feedback kontinuierlich eingearbeitet werden.

 

Lesetipps – weitere Fachbeiträge und Praxisbeispiele im Tiba Magazin online:

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Portrait Autor

Alexander Koschke

Alexander Koschke ist seit Ende 2008 bei der Tiba Managementberatung und Teil des Think Tanks zum Thema PM 4.0. Als Berater und Trainer treibt er das Thema Agilität und neue Führung in Industrieunternehmen leidenschaftlich voran. Der Maschinenbau-Ingenieur (MBA) geht auch in seiner Freizeit der Frage nach: Wie wollen wir arbeiten? Die aktuelle Welle der Agilität, die immer mehr auch die Industrie erfasst, bietet da ein gutes Forschungsfeld. Durch die Kombination verschiedener agiler Projektmanagement-Ansätze und mit seinen ausgeprägten Führungs- und Softskills begeistert er immer mehr Kunden für dieses Thema.