An der Börse geht es zuweilen hektisch zu. Im Projektmanagement ist das nicht anders. Ein Grund für uns, nach weiteren Parallelen zu suchen und zu fragen, was Projektmanager von Börsenmaklern lernen können. Rede und Antwort stand uns der Börsenexperte und „Mr. Dax“, Dirk Müller. Bei den PM-Tagen am 2./3. März stand er gleich zwei Mal auf der Bühne: Als Key Note Speaker sowie als Teilnehmer der Podiumsdiskussion zum Thema „Führung und Ethik im Projekt“.
Bei den PM-Tagen erklärten Sie, was Projektmanager von der Börse lernen können. Schaut man sich die Bilder des Frankfurter Börsenparketts an, gewinnt man den Eindruck, dass Börsenmakler ebenso wie Projektmanager vor allem den Überblick in komplexen Situationen behalten müssen. Wie gelingt das am besten?
Müller: Es geht darum, möglichst die eigene Sichtweise zu reflektieren. An der Börse geht es häufig um Emotionen, bei Projektmanagern ist das nicht anders: Mal euphorisch, mal voller Sorgen. Es ist elementar, sich darüber im Klaren zu sein, dass man Situationen weder zu pessimistisch noch zu optimistisch bewerten darf. Wer für ein Thema brennt, der neigt dazu. Behalten Sie einen realistischen Blick auf die Situation. Man sieht das an der Börse ebenso wie bei Unternehmensübernahmen, wo sich aufgrund einer Euphorie ein Hype entwickelt und Unternehmen zu horrenden Preisen aufgekauft werden, die der Realität widersprechen und nüchtern nicht zu erklären sind.
Beide müssen außerdem akzeptieren lernen, dass sie Fehler machen und Entscheidungen mit einer 50-prozentigen Wahrscheinlichkeit falsch sein werden. Leider gelten Fehler als Makel, werden vertuscht oder anderen untergeschoben. An der Börse ist das tödlich. Man muss sich bewusst machen, dass Fehler selbst dann passieren, wenn man alles bedacht hat. Zum Beispiel deshalb, weil Dinge passieren können, die nicht vorhersehbar waren oder Situationen derart komplex sind, dass gar nicht alle relevanten Informationen gesammelt werden können.
Entscheidungen mögen sich morgen oder in einer Woche als völlig falsch herausstellen; wichtig ist es dann aber, sich den Fehler einzugestehen. An der Börse gehe ich sonst pleite, Projekte werden an die Wand gefahren. Elementar ist also, sich immer wieder in Frage zu stellen: Der weise Mann schwankt, nur der Narr ist sich sicher.
Börsenhändler müssen – wie Projektmanager auch – gut mit Zahlen umgehen können, diese binnen kürzester Zeit einordnen und verarbeiten können. Das liegt auf der Hand. Wie sieht es aber mit Soft Skills aus?
Müller: Dazu gehört neben dem, was ich bereits gesagt habe, die Bereitschaft, eine 80:20-Situation zuzulassen. Das bedeutet: Ich werde nie alle Informationen haben, nichts kann bis ins letzte Detail geklärt werden. Unter Umständen müssen Entscheidungen schnell getroffen werden. Das gilt an der Börse ebenso wie in Projekten.
Oftmals ist es besser, eine schnelle Entscheidung mit nur 80 Prozent der Informationen zu treffen und 20 Prozent Restrisiko in Kauf zu nehmen, als zu versuchen, 100 Prozent Informationen zu bekommen und das Projekt scheitern zu lassen, weil niemand eine Entscheidung trifft. Natürlich braucht man Informationen, aber an einem gewissen Punkt muss es auch gut sein.
Manchmal ist eine schnell gefällte Entscheidung besser als eine nicht gefällte. Eine gewisse Lockerheit ist deshalb ein wichtiger Soft Skill. Ein Pedant wird im Projektmanagement ebenso wie an der Börse nicht erfolgreich sein.
Der Job als Börsenmakler und die Tätigkeit als Projektmanager eint, dass häufig unter hohem Zeitdruck weitreichende Entscheidungen gefällt werden müssen. Was empfiehlt der Börsenmakler dem Projektmanager?
Müller: Schnellen Entscheidungen dürfen Sie nie nachtrauern. Wer eine einmal getroffene Entscheidung bedauert, verschwendet Zeit. Natürlich muss man aus falschen Entscheidungen lernen; nachtrauern und sich ärgern ist jedoch der falsche Weg.
Wirtschaftskrise in China, Ölpreis im Keller und womöglich Donald Trump im Weißen Haus. Was bringt das Börsenjahr 2016 Ihrer Ansicht nach?
Müller: Wir laufen auf eine extrem gefährliche Situation zu. Das, was sich auf dem eurasischen Kontinent gerade zusammenbraut, erinnert schwer an einen perfekten Sturm. Wir haben schwerwiegende Probleme auf dem gesamten eurasischen Kontinent, die vordergründig gar nicht in Zusammenhang zu stehen scheinen, hintergründig jedoch sehr wohl, und die sich gegenseitig dramatisch verschärfen.
Wir haben einerseits China vor einer dramatischen Entwicklung, die aus meiner Sicht noch immer brutal unterschätzt wird. Ich habe bereits vor zwei Jahren davor gewarnt. China kommt in ganz, ganz schweres Fahrwasser, so wie es keiner für möglich gehalten hätte. Diese Gefahr dürfen wir nicht unterschätzen, denn die Frage ist nicht ob sie kommt, sondern wann. Wenn kein Wunder geschieht, hat dies tiefgreifende Konsequenzen für unsere wirtschaftlichen Entwicklungen der nächsten drei Jahre.
Von welchen Entwicklungen sprechen Sie?
Müller: Das könnte eine Rezession in China sein, die sich über den ganzen Kontinent zieht und die über das, was wir 2008/2009 gesehen haben, hinausgeht.
Parallel dazu haben wir den Nahen Osten in Flammen, die arabische Halbinsel in größten Schwierigkeiten aufgrund des niedrigen Ölpreises. Dabei geht es nicht, wie vielfach in den Medien kolportiert, um Machtspiele um Marktanteile mit den Amerikanern; es geht um viel mehr. Bleibt der Ölpreis so niedrig wie jetzt, wird Saudi-Arabien in drei Jahren keine Währungsreserven mehr haben. Wir reden an der Börse über einen möglichen Zahlungsausfall des Märchenlandes Saudi-Arabien.
Gleichzeitig sehen wir Russland massiv unter Druck. Einerseits wegen des Ölpreises, andererseits durch die politische Isolation. Ein riesiger Spieler innerhalb des arabischen Kontinents ist damit in Schwierigkeiten, die Türkei vor bürgerkriegsähnlichen Zuständen, Europa in einer Flüchtlingskrise, wo wir nicht wissen, was in den nächsten Monaten daraus erwächst.
Kurzum: Wir haben einen eurasischen Kontinent in größten existenziellen Schwierigkeiten, die sich gegenseitig durchaus verstärken können. Die Herausforderungen sind immens.