Die Angst deutscher Manager vor der Digitalisierung

Deutsche Manager haben Angst vor Fehlern und falschen Entscheidungen. Das sagt der Internet-Experte Tim Cole. Betrachtet man den Digitalisierungsgrad hiesiger Unternehmen, hat er (leider) recht, denn anderen Nationen – das bestätigen zahlreiche Studien – hinkt Deutschland hier hinterher.

Lesen Sie im Interview, was Cole über das Ende der analogen Zeitrechnung und dringende Digitalisierungsprojekte zu sagen hat. Mehr dazu verriet er als Key Note Speaker auf den PM-Tagen am 22. und 23. März 2017, die schwerpunktmäßig das Thema „Projektmanagement 4.0“ beleuchteten.

Aktuelle Studien stellen deutschen Unternehmen in Sachen Digitalisierung nur mittelmäßige Noten aus. Im Vergleich zu ihren Wettbewerbern in den USA oder Asien hinken sie deutlich hinterher. Woran liegt das? Und wieviel Zeit bleibt, um aufzuholen?

Tim Cole: Ich lebe als Deutschamerikaner seit 50 Jahren in diesem schönen Land, und ich lebe gerne hier. Aber ich muss schon sagen: Viele – zu viele – deutsche Manager haben Angst. Sie haben Angst, Fehler zu machen, falsche Entscheidungen zu treffen – und treffen deshalb lieber gar keine. Und sie haben Angst vor dem Neuen. „Ändern losst sich goar nix, denn sonst hätten wir’s längst gemacht“, sang einst der (Wiener) Kabarettist  Georg Kreisler. Was wir in Deutschland vor allem brauchen, ist mehr Mut, denn die Zeit drängt. In der Welt der Digitalen Transformation ticken die Uhren im Takt von Moore’s Law – Verdopplung alle 18 Monate. Der Mensch aber lebt nach der analogen Zeitrechnung, und das gilt ganz besonders für Manager und Unternehmer hierzulande. Leider haben wir aber nicht den Luxus, erst einmal abwarten zu können. In der Zwischenzeit ziehen andere an uns vorbei und die Zeit, die es braucht, bis Deutschland seinen Ruf als eine führende Wirtschaftsnation verloren hat, kann man mit einer Eieruhr messen – allerdings einer digitalen!

Gibt es Unterschiede zwischen den Branchen?

Cole: Es geht weniger um Branchen und mehr um Einzelne. Ja, es gibt ganz tolle junge Startups in Deutschland. Und ja, es gibt einzelne Mittelständler und sogar große Unternehmen, die verstanden haben, wohin die Reise geht. In meinem aktuellen Buch lobe ich ausdrücklich die Firma Robert Bosch, die sich ja selbst als den „größten Mittelständler der Welt“ bezeichnet und wo es Dutzende von Projekten gibt, in denen neue Organisationsformen und Prozesse zumindest ausprobiert werden. Aber auch dort dauert es meines Erachtens viel zu lang, bis man aus dem Probierstadium herauskommt und in den Regelbetrieb gelangt. Das liegt auch ein bisschen an der deutschen Gründlichkeit: Erst wenn alles funktioniert und die letzten Kinken (Seemannssprache für Knoten) ausgebügelt sind, traut man sich damit in die Kernprozesse. Besser wäre es, wenn man solche Projekte kleinteiliger anlegen und so zu schnelleren Ergebnissen kommen würde. Ein solches Projekt sollte auf 90 Tage angelegt sein – länger nicht.

Die digitale Transformation eines Unternehmens ist ein Mega-Projekt und sollte deshalb ganz oben aufgehängt sein. Idealerweise gibt es im Unternehmen einen Chief Digital Officer, der alles zentral lenkt. Wie sieht die Realität aus? Oder anders gefragt: Wie machen es die Best Practices, die Sie kennen?

Cole: Darüber gibt es geteilte Meinungen. Die einen fordern aggressive Führung, favorisieren also den Top-Down-Approach. Andere wie mein Freund Ralf Volmer scheiben: „Wer im Kontext zur Digitalisierung eine aggressive Führung fordert, hat nicht verstanden, wie sich Menschen verhalten, was die (Alten) brauchen und die (Jungen) wollen.“ Ich gehöre auch eher zu denen, die den Abbau hierarchischer Strukturen fordern und auf die autonome Selbstorganisation der Mitarbeiter im Team vertrauen. Dazu brauchen wir aber andere Chefs: Leute, die sich als Team-Player verstehen und in der Lage sind, ihre Arbeitsgruppen auf gemeinsame Ziele einzuschwören – dann allerdings auch loszulassen und darauf zu vertrauen, dass die Mitarbeiter selbst ihren Weg finden werden. Leider sieht die Wirklichkeit heute völlig anders aus. So verlangen beispielsweise 75 Prozent aller deutschen Chefs von ihren Mitarbeitern Präsenzpflicht im Büro. Home Office? Von wegen! Flexible Arbeitsmodelle? Nicht mit uns! Es muss sich erst etwas in den Köpfen von denen da oben ändern, bevor es mit dem digitalen Wandel klappen kann.

Welche Digitalisierungsprojekte sind aus Ihrer Sicht aktuell die dringendsten?

Cole: Wir müssen ganz klein und bescheiden bei unseren Prozessen anfangen. In jedem Unternehmen, das ich kenne, wimmelt es vor dem, was ich gerne als „digitale Inseln“ bezeichne – einzelne Systeme, die für einen ganz bestimmten Zweck eingeführt worden sind und die nicht in der Lage sind, mit anderen Systemen zu kommunizieren. Mein Lieblingsbeispiel ist das CRM: Das Marketing hat es für viel Geld angeschafft und sammelt damit wichtige Informationen über die Kunden, deren Bedürfnisse und Befindlichkeiten. Aber niemand sonst im Unternehmen bekommt dieses Kundenwissen zu sehen, weil es im Silo feststeckt. Dabei wäre es wahnsinnig wichtig für die Kollegen, sagen wir mal, im Vertrieb, in der Produktentwicklung oder im Beschwerdemanagement. Stattdessen haben wir diese teuren Datengräber, die wir CRM nennen. Es ist zum Haare ausraufen! Wir müssen zuerst die Vernetzung im eigenen Unternehmen zu Ende führen, dann können wir daran denken, uns mit Lieferanten, Partnern und auch mit Kunden zu vernetzen. Erst dann können wir wirklich von einem „Internet of Everything“ träumen. Vorher bleibt das alles Stückwerk!

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