Agilität in der Führung

Mitarbeiter müssen sich mit immer komplexeren Aufgaben auseinander setzen. Spartendenken und engmaschige Aufgabenstellungen haben damit ausgedient. Das wirkt sich auch auf die Führungskultur in Unternehmen aus: Vorgesetzte werden zu Mentoren für ihre Mitarbeiter.

Stirbt die klassische Führungskraft aus?

Die Digitalisierung hat nicht nur das private Leben, sondern auch Organisationen revolutioniert. Sie stehen nicht nur für den technischen Fortschritt sondern auch für den Wandel unserer Arbeitswelt, der weit über die Branchen Automotive, Unterhaltung und Telekommunikation hinausgeht. Trennungen zwischen Branchen- und Aufgabenbereichen weichen zunehmend auf, die Anforderungen an das Wissen und die persönlichen Fähigkeiten der Mitarbeiter werden umfangreicher und komplexer. Unternehmen, die langfristig erfolgreich am Markt agieren möchten, müssen sich auf diesen Wandel einstellen. Die Realität sieht jedoch in den meisten Unternehmen noch ganz anders aus: Mitarbeiter konzentrieren sich weiterhin auf ihr Spezialgebiet und auf die ihnen zugeordnete Aufgabe. Aktiv betriebener Austausch über Abteilungsgrenzen hinweg und Querdenken sind – vor allem in größeren Organisationen und Konzernen – weiterhin die Ausnahme und häufig unerwünscht. Dies liegt vor allem in den jahrelang gewachsenen Strukturen und dem gelernten Verhalten innerhalb der Organisation: Informationen und Handlungsanweisungen werden Top-Down weitergereicht und münden in Dominanzverhalten, Silomentalität, Bürokratie oder Mikromanagement.

Dabei sind es gerade die Neudenker, die Unternehmen heute einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil schaffen können, weil sie zu den Anforderungsprofilen der wirtschaftlichen Entwicklung passen.

Um sie zu fördern und sie zu motivieren ist jedoch eine Abkehr von den klassischen Führungsmodellen gefragt. Selbst Führungskräfte ‚alter Schule‘ spüren, dass das bisherige Führungsverhalten in einem globalen kompetitiven Welt enge Planung ad absurdum führt. Zukünftig werden Fähigkeiten wie Netzwerkdynamik, Kollaboration, Integration, Transparenz, Partizipation gefragt sein – ohne Effektivität und Profitabilität aus dem Auge zu verlieren.

Führungskraft wird zum Mentor

Dreh- und Angelpunkt ist dabei die neue Rolle der Projektmitarbeitenden. Um den steigenden Anforderungen an Komplexität, Flexibilität und Schnelligkeit, vor allem in Transformationsprojekten gerecht zu werden, müssen sie mit den entsprechenden Eigenschaften ausgerüstet werden. Eigenverantwortliches Handeln, der aktive Aufbau von eigenen Netzwerken und Neudenken wollen jedoch gelernt sein – vor allem dann, wenn es in den bisherigen Strukturen unerwünscht war. Sowohl Führungskräfte als auch Mitarbeitende müssen also lernen, Prozesse und Anforderungen ebenso zu hinterfragen wie gängige Lösungsansätze. Mitarbeitende von morgen müssen zudem unternehmerisch denken und dürfen die ihnen zugeteilte Aufgabe nicht mehr isoliert betrachten. Genau dies erfordert eine komplette Kehrtwende in der Führung: Starre Hierarchien und geregelte Berichtswege in der Netzwerk-Organisation lassen sich mit den Herausforderungen der Unternehmen heute nicht mehr vereinen. Auch die direkte Aufgabe der Führungskraft ändert sich. Sie muss nicht nur lernen, den Mitarbeitenden mehr Freiräume zu lassen – sie muss sich komplett neu definieren. Hauptaufgabe der Führungskraft von morgen ist es dabei, die Mitarbeitenden zu motivieren und sie mit allem auszurüsten, was sie benötigen, um ihre Aufgabe bestmöglich zu lösen.

Gefragt ist dabei ein agiles Führungsmodell, das schnell und flexibel auf die steigenden Anforderungen reagieren kann. Dieses Modell – weg von Hierarchien hin zu mehr Eigenverantwortung – erfordert ein komplettes Umdenken. Führungskräfte wandeln sich dabei vom Vorgesetzen mit Befugnis zu Entscheidungen und direkten Anweisungen zum Mentor ihrer Mitarbeiter und ihrer Projektteams. Dazu benötigen Verantwortliche neben einem eigenen gut ausgebauten Netzwerk, das die nötigen Ressourcen bereithält, vor allem persönliche Eigenschaften wie Kommunikations- und Überzeugungsstärke, Motivation und Weitblick. Der/die Mitarbeitende-Mentor*in von morgen muss bereit sein, vermeintliche Macht abzugeben und umfangreich zu informieren. Er/sie muss Projektleiter*innen und dem Projektteam genügend Freiraum geben, um eigenverantwortlich scheinbare Sachzwänge, Prozesse und Vorgaben zu hinterfragen. Darüber hinaus sollte er/sie bereit sein, sein Wissen zu teilen und ihr/sein Netzwerk für andere zu öffnen. Dabei wird der Erfolg einer Führungskraft, eines Mitarbeitenden-Mentors künftig davon abhängen, wie sehr er/sie bereit und in der Lage ist, seine Mitarbeitenden zu fördern und zu unterstützen, um so das bestmögliche Ergebnis für (Transformations)Projekte zu erreichen. Dazu muss er/sie lernen, die Erwartungshaltungen der Stakeholder ebenso zu managen wie die seiner/ihrer Teammitglieder.

Stakeholder-orientiertes Führen

Die neue Führungskultur wirkt sich dabei auf das gesamte Unternehmen aus. So müssen Organisationen und interne Strukturen den neuen Anforderungen angepasst werden. Neue Kommunikationsformen und -kanäle sind ebenso wichtig wie eine zunehmende Vernetzung der Mitarbeitenden untereinander. Wenn die Mitarbeitenden an die zunehmende Eigenverantwortung herangeführt werden sollen, müssen die Teams von ihrem Silo-Denken befreit und das Neudenken gefördert werden. Zudem müssen Rezepte gefunden werden, wie Mitarbeitenden die Angst vor falschen Entscheidungen genommen werden. Schließlich sollen sie – nachdem sie sich oft jahrelang auch kleinste Entscheidungen von oben haben absegnen lassen müssen – künftig in einem komplexen Projekt 80-Prozent-Entscheidungen treffen und dazu stehen. Für Mitarbeitende, die gelernt haben, sich abzusichern und alle Entscheidungsvorschläge sorgfältig abzuwägen, ist dies ein radikaler Wandel, der leicht zu Überforderung führen kann. Aber auch die Führungskräfte stehen vor der Aufgabe, Führung neu zu lernen: Dass Mitarbeitende aufgrund ihrer eigenen Einschätzung Entscheidungen treffen, dass sie um Unterstützung fragen, ihren Entscheidungsfreiraum angemessen nutzen. Themen und Entscheidungen werden im Stakeholder-Netzwerk dann diskutiert verhandelt, verschiedene Interessen berücksichtigt und integriert. Dies erfordert eine sehr hohe Kommunikationskompetenz, Empathie, Aufgeschlossenheit für Neudenker, Verzicht auf persönliches Machtgehabe. Eigentlich ohnehin Führungseigenschaften, die immer erwartet wurden (wenn auch nicht immer praktiziert). Aus der Erwartung wird dann allerdings ein unumgänglicher persönlicher Veränderungsprozess werden. Der Wandel in der Unternehmensstruktur muss deshalb beim Bewusstsein der Führungskräfte über ihre Rolle beginnen. Nun dann kann der Wandel erfolgreich stattfinden. Zum Change Management gehört dabei auch, die Führungskräfte selbst mit den entsprechenden Fähigkeiten auszustatten. Unterstützung bietet dabei beispielsweise ein Change Coaching. Hier lernen Führungskräfte und ihre Teams Schritt für Schritt, Agilität im Rahmen der Organisation zu leben. Dabei ist der/die Coach in erster Linie Sparring-Partner, der die Führungskraft im Prozess begleitet, im neue Möglichkeiten der Kommunikation vermittelt und sich konstruktiv einbringt. Der Erfolg des/der Coachs hängt dabei von seinen/ihren Erfahrungen und ihrem/seinem Wissen ab: Um der komplexen Aufgabe gerecht zu werden, sollte er sich Organisationserfahrung ebenso mitbringen wie entsprechende Erfahrungen im Bereich Change Management und Führung. Wichtig sind auch internationale Erfahrungen, da unterschiedliche Kulturen andere Anforderungen an die Kommunikationseben stellen. Verändern – führen – kommunizieren wird dann zum Tagesgeschäft einer Führungskraft in einem globalen Wettbewerbsumfeld.

 

Autorin Birgit Weber, Leitung Marketing, Leitung CoC Projektmarketing

Quelle Cornelia Wüst

Kommentare sind geschlossen.