Agiles Projektmanagement | Experten-Interview

Wann macht agiles Projektmanagement Sinn? Welche Grundvoraussetzungen müssen für den Projekterfolg erfüllt sein? Dies und mehr verrät Ihnen Agile Mindset Experte, Berater und Trainer Alexander Koschke im Interview. Erfahren Sie außerdem die typischen Fehler bei der Einführung agiler Methoden und weshalb das richtige Mindset so unerlässlich ist.

Schon vor der von raschen Veränderungen gezeichneten Corona-Pandemie standen Unternehmen vor den Herausforderungen globaler Marktentwicklungen oder der Digitalisierung. Wird unsere Welt zu schnelllebig für klassisches Projektmanagement?

Alex Koschke: Das könnte man so sagen, man könnte es jedoch auch positiv als Chance formulieren und sagen, dass es uns durch die Anwendung neuer Methoden, durch ein verändertes Mindset und die Digitalisierung nun möglich ist Produkte viel schneller und innovativer zu entwickeln als früher. Für diejenigen, die diese Möglichkeiten nicht nutzen, fühlt es sich jedoch oft so an, dass die Welt immer schneller bzw. zu schnell wird. Ein Grund mehr, sich mit den neuen Möglichkeiten zu beschäftigen! 😉

Allerdings ist es auch nicht so, dass klassisches Projektmanagement nicht mehr gebraucht würde… Im Gegenteil, gerade in der Industrie wird klassisches Projektmanagement auch in Zukunft noch eine wichtigere Rolle spielen als früher, allerdings sollte es an bestimmten Stellen und in gewissen Bereichen „agilisiert“ bzw. durch agilere Methoden ergänzt werden.

„Agiles Projektmanagement“ wird häufig als „schnelleres, flexibleres Projektmanagement“ verstanden. Was ist notwendig, damit Projekte tatsächlich „flexibler“ durchgeführt werden können? Reicht die (Neu)Einführung einer agilen Methode?

Alex Koschke: Die Einführung einer neuen Methode ist oft der erste Schritt den Unternehmen machen, wenn sie agiler werden wollen. Das klingt oft vielversprechend und ist im Vergleich zum Mindset-Change oder einer größeren organisatorischen Veränderung auch schneller umzusetzen. Daher rührt die große Anzahl an agilen Initiativen der letzten Jahre in fast allen Bereichen.

Früher oder später müssen jedoch fast alle Anwender feststellen, dass die Einführung der Methode nicht ausreicht und die anderen beiden Aspekte, Mindset-Change und organisatorische Veränderung, sich nicht umgehen lassen, wenn man wirklich schneller und flexibler werden möchte.

Flexibel bedeutet dabei auch flexibel in der Anwendung der richtigen Methode. Um die passende Methode für mein Problem herauszufinden, muss ich Agilität und die Prinzipien dahinter verstanden haben, d.h. das agile Mindset auch verinnerlicht haben. Nur eine andere Methode zu verwenden hilft gar nichts, ich muss die passende Methode anwenden, sonst wird alles nur noch schlimmer.

Und damit die Methode auch langfristig funktioniert, muss sie durch die notwendigen organisatorischen Veränderungen begleitet werden. Und das ist der wohl unangenehmste, aber wichtigste Punkt, denn hier greift (im wahrsten Sinne des Wortes) Agilität die bestehende Struktur an, es geht an die Substanz… und genau hier finden viele Initiativen dann auch ihr Ende.

Wird Agilität jedoch nur in einem abgeschlossenen Bereich eingeführt, wo es meist auch gut funktioniert und die Beteiligten begeistert sind, aber nicht in die umgebende Organisation integriert, dann habe ich zwar agiles Arbeiten in einer Blase erfahren, aber der Organisation als solches hat es nichts gebracht. An diesem Punkt stehen viele Unternehmen zur Zeit. Sie sind nach der anfänglichen Euphorie enttäuscht, warum agile Projekte nicht „automatisch“ die Organisation agiler machen.

Wann macht der Einsatz von agilem Projektmanagement Sinn? Welche Grundvoraussetzungen müssen für den Projekterfolg erfüllt sein?

Alex Koschke: Agilität an sich, d.h. ja in erster Linie den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen, den Kunden besser zu verstehen und die Produkte an seinen Bedürfnissen auszurichten und aber auch die eigenen Mitarbeiter mehr wertzuschätzen, das ist für mich auf jeden Fall immer erstrebenswert und es tut jeder Organisation gut sich dafür einzusetzen.

Der konkrete Einsatz von agilen Projektmanagement-Methoden macht besonders dann Sinn, wenn klassische Methoden an ihre Grenzen kommen, d.h. wenn ich keine Projektplanung machen kann, weil die Ziele zu unklar sind und sich immer wieder ändern, wenn der Kunde gar nicht genau weiß, was er will und das Umfeld bzw. die Technologie sich so schnell ändert, dass ein klassisches Vorgehen einfach zu aufwändig und starr wäre. Das ist natürlich v.a. im Bereich der Software bzw. bei digitalen, updatebaren Produkten der Fall und weniger bei der Hardware. Doch wo gibt es heutzutage noch reine Hardware ohne Elektronik und IT? Diese Bereiche wachsen im Zuge der Digitalisierung immer mehr zusammen und der Hardware-Bereich nimmt einen immer kleineren Anteil an dem Gesamtentwicklungsaufwand ein. Daher wird um Agilität in Zukunft meiner Meinung nach fast keiner mehr drumherum kommen.

Die wichtigste Grundvoraussetzung für mich ist die Freude am Experimentieren und die Fähigkeit gemeinsam zu reflektieren. Wenn man diese beiden Aspekte mitbringt, kann jeder die Organisation agilisieren, das behalten, was sich als sinnvoll erweist und das verwerfen, was sich nicht bewährt hat. Als größtes Hindernis sehe ich die Angst vor Fehlern und aus Sicherheitsdenken heraus immer wieder das gleiche zu tun und zu hoffen, dass man durch etwas Effizienzsteigerung schon mit der Konkurrenz mithalten kann. Das ist für mich das Todesurteil für eine zukunftsfähige Organisation.

Das Aushängeschild für agiles Projektmanagement ist vor allem Scrum. Kann dieses Rahmenwerk mit anderen (agilen) Methoden kombiniert werden? Oder sollte man sich beim Projektmanagement nur nach einer Vorgehensweise ausrichten?

Alex Koschke: Wie ich oben schon berichtet habe, sehe ich keine Methode besser als eine andere und damit ist auch Scrum nur ein Puzzlestück in einem adaptiven Projektmanagement. Allerdings ist Scrum eine sehr mächtige Methode, die das agile Mindset sehr tief in sich verankert hat. Dadurch eignet sich Scrum ganz besonders, um agiles Arbeiten kennenzulernen. Meistens ist aber das Arbeiten nach Scrum auch besonders schwer mit den klassischen Strukturen zu vereinen, wodurch fast zwangsläufig zumindest in der Übergangsphase Kompromisse gefunden und Methoden kombiniert werden müssen. Dabei ist wieder das agile Mindset wichtig, um die Methoden sinnvoll zu kombinieren und am Ende nicht einen hybriden Frankenstein zu erzeugen, der mit Agilität nichts mehr zu tun hat.

Wie kann mir ein Agile Mindset Seminar dabei helfen, in meinem Unternehmen die richtigen Voraussetzungen für agiles Projektmanagement zu schaffen?

Alex Koschke: Der wichtigste Punkt des Agile Mindset Seminars ist meiner Meinung nach, dass wir hier in einem Seminar die verschiedenen Ansätze gegenüberstellen, mit Hilfe von konkreten Simulationen auch erleben lassen und dann die Prinzipien dahinter herausarbeiten und die Buzzwords mit Leben füllen, was zu einem tieferen Verständnis von Agilität führt. Das ermöglicht es den Teilnehmern nach dem Seminar die passende Methode auszuwählen, die Methoden so anzupassen, dass sie nicht ihren Sinn verlieren und v.a. auch gutgemeinte „Pseudo“-Agilität zu erkennen. Dadurch ersparen sie dem Unternehmen viel Zeit und Frustration, die ganz oft das Thema Agilität im Unternehmen eher „verbrennt“ als fördert.

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Welche Methoden, Ansätze und Vorgehensweisen sollte ich als agiler Projektmanager beherrschen?

Alex Koschke: Da gibt es eine Vielzahl an verschiedenen Ansätzen, v.a. wenn es dann auch noch an die Skalierung geht, aber wir bei Tiba sehen als Grundvoraussetzung für alles weitere Design Thinking, Scrum, Kanban und Lean, die in Kombination mit klassischem Projektmanagement die wichtigsten Anwendungsbereiche abdecken. Davon abgeleitet kann dann jeder seine spezifischen Anwendungen und Ansätze selbst entwickeln.

Als Berater und Trainer treibst du das Thema Agilität und neue Führung in Industrieunternehmen leidenschaftlich gerne voran. Was genau reizt dich nun seit mehr als 10 Jahren so sehr an diesem Thema?

Alex Koschke: Für mich heißt Agilität Lebendigkeit und das ist für uns Menschen keine „Option“, sondern das, was uns eigentlich ausmacht. Die Digitalisierung vertreibt uns Menschen wahrscheinlich unwiederbringlich aus vielen Bereichen des Arbeitslebens. Gleichzeitig eröffnet uns die Digitalisierung, wenn wir sie sinnvoll gestalten, auch die Möglichkeiten zu einer nie dagewesenen Humanisierung im Arbeitsleben. Wir Menschen können uns hier mehr verwirklichen und unser Potential entfalten als wir es je zuvor konnten. Einfühlungsvermögen, Beziehungsfähigkeit, Intuition und Kreativität werden immer wichtiger und diese versteckten Qualitäten in Individuen und Teams und ganzen Organisationen zu ent-wickeln, das motiviert mich sehr. Und wer echt agil arbeitende Teams erlebt hat und es gewohnt ist so zu arbeiten, der kann sowieso nicht mehr zurück.

 

Lieber Alex, wir bedanken uns für das spannende Interview und freuen uns auf das nächste Agile Mindset Seminar mit dir!

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