Agile Methoden und Kulturwandel am Beispiel von Automotive Projekten

Kürzere Entwicklungszyklen, komplexere Produkte und neue Services, wie etwa Fahrerassistenzsysteme (Advanced Driver Assistant System), die mit klassischen Fahrzeugdomänen zu verbinden sind – die Entwicklungskriterien im Automotive-Bereich verändern sich enorm. Matthias Goebel, Managing Director ADAS und Electronics bei der ZF Group, spricht über die Einführung agiler Methoden in Automotive Projekten und über die Herausforderungen beim Aufsetzen einer agilen Projektorganisation. Auf den PM-Tagen 2019 hält Herr Goebel einen Best Practice Vortrag, in dem er noch mehr zum Thema erzählt.

Herr Goebel, Sie fokussieren sich in der ZF Group auf agile Projektumsetzung. Wo sehen Sie die Vorteile?

Matthias Goebel: Als international tätiger Automobilzulieferer müssen wir auf die Veränderungen der Fahrzeughersteller eingehen. Eine stärkere Dynamik und höhere Komplexität sind gefragt. Das wirkt sich folgerichtig auf unsere Produkte und die damit verknüpften Projekte aus – die Entwicklungszyklen werden kürzer und weisen eine größere Planungsunsicherheit auf als in früheren Zeiten. Dazu kommt, dass wir aktuelle Regularien, wie z.B. die ISO26262-Funktionale Sicherheit, in unserer Entwicklungsarbeit berücksichtigen müssen. Wir glauben, dass wir in diesem Zusammenhang mit Agilität flexibler und anpassungsfähiger vorankommen.

Wie haben Sie den Weg hin zur agilen Projektorganisation beschritten?

Goebel: Man kann nicht einfach einen Schalter umlegen und sagen: „Ab morgen arbeiten wir agil“. Dazu braucht es einen entsprechenden Kulturwandel im Unternehmen, um die neuen Werte und Regeln zu vermitteln, zu verstehen und zu akzeptieren. Das gilt übrigens für die Mitarbeiter und das Management gleichermaßen. Konkret haben wir uns Unterstützung bei der Tiba Managementberatung geholt und gemeinsam die sieben Prinzipien der Tiba (entstanden u.a. aus dem Agilen Manifest) an das Unternehmen angepasst. Wenn man diese Prinzipien einmal verinnerlicht hat, stellt man plötzlich fest, wie einfach das Arbeiten ist.

Sind Sie mit Ihren Automotive Projekten nun schneller geworden?

Goebel: Diese Frage ist schwer zu beantworten, weil ein direkter Vergleichsmaßstab fehlt. Was ich aber sagen kann, ist, dass wir qualitativ besser geworden sind. Durch die schnelleren Entwicklungszyklen und die iterative Umsetzung fallen Fehler früher auf und können dementsprechend schneller und einfacher behoben werden. Außerdem hat sich unser Overhead verringert, wir arbeiten effizienter. Allerdings mussten wir auch feststellen, dass Agilität bei Projektteams mit 50 bis 250 Mitarbeitern ganz andere Herausforderungen mit sich bringt und daher größere Organisationsänderungen benötigt.

Worin liegt die Schwierigkeit in der Skalierbarkeit von agilen Projekten?

Goebel: Ein SCRUM-Team sollte aus nicht mehr als zehn Personen bestehen. Das heißt, dass wir mit solchen Teams naturgemäß Kapazitätsgrenzen erreichen. Unsere Projekte sind aber häufig deutlich umfangreicher oder es müssen mehr Features entwickelt werden. Zunächst probierten wir daher aus, die SCRUM-Teams einfach größer zu machen. Allerdings wurde dabei der Planungs- und Kommunikationsaufwand so groß, dass uns dieses Vorgehen als nicht praktikabel erschien. Außerdem stößt die Cross-Funktionalität in Teams mit 50 oder mehr Mitarbeitern an ihre Grenzen. Also haben wir uns die bereits vorhandenen Frameworks für große agile Projekte angeschaut – LeSS, SAFe, das Spotify-Modell oder Nexus, um nur einige zu nennen.

Wie haben Sie die Agilität schließlich „größer gemacht“?

Goebel: ZF ADAS & Electronics hat schließlich beschlossen, einen individuellen Ansatz zu entwickeln, um Frameworks wie LeSS und SAFe zu unterstützen. Die Frameworks LeSS oder SAFe haben für uns außerdem den Vorteil, dass sie auch in der Automobilindustrie verfolgt werden und somit eine gute Synchronität und Zusammenarbeit bei den OEMs erlauben. Grundlage hierfür ist die featurebasierte Entwicklung, bei dem „cross-functional“ Teams mit etwa zehn Mitarbeitern Miniprojekte bzw. jeweils ein Feature entwickeln. Jedes Team hat einen Feature-Owner, welcher End-to-End verantwortlich ist und mit dem Chief-Product Owner den Inhalt des Features und die Priorisierung der User Stories abstimmt. Wir arbeiten hier mit maximal zwei bis drei Planungsebenen.

 

Kurzbiografie

Matthias Goebel ist seit dem Jahr 2017 Managing Director der ZF Group für Advanced Driver Assist System (ADAS). Er leitet die Core-Entwicklung für Domain-Rechner sowie die Applikationsentwicklung für den deutschen Markt. Außerdem begleitet er die Einführung agiler Methoden in der Entwicklung. Nach seinem Studium der Elektrotechnik an der TFH Georg Agricola in Bochum arbeitete Matthias Goebel zunächst als Entwicklungsingenieur bei TRW Automotive im Bereich der Passiven Sicherheitselektronik und übernahm dort ab 2012 die Entwicklungsleitung für Europa.

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